Sonntag, 2. März 2008

Die achte Ferienwohnung

Der Sommer ist vorbei, und es nimmt kein Ende. Zu Beginn der brasilianischen Hochsaison war es so schlimm, dass ich für meine ebenerdige Terrasse ein Gartentor gebastelt habe. Sonst standen nämlich regelmässig wildfremde Menschen in meiner Tür, spähten neugierig in meine Küche und fragten lautstark: „Sind hier Wohnungen zu vermieten?“ Tatsächlich sind hier Wohnungen zu vermieten, mehrere sogar. Aber in der Hochsaison waren sie alle vergeben. Den Ärger darüber haben die potentiellen Mieter gerne an mir ausgelassen. Bis das Gartentor sie auf einer die Höflichkeit förderlichen Distanz hielt.

Im Januar, dem Sommerferienmonat, waren wohl alle Urlauber glücklich untergebracht und die Frequenz der Suchhorden nahm ab. Jetzt sind die Ferien vorbei, abends am Dorfplatz hören nur noch die Einheimischen dem gitarrespielenden Sänger zu – und ich fürchte, bald wird auch der nicht mehr kommen. Kurz: Es ist Winterstimmung. Nur bei den Wohnungssuchenden nicht. Die kommen neuerdings wieder sehr zahlreich. Das hat zwei Gründe: Zum einen sinken in allen Ferienorten – und alle Orte am Strand sind grundsätzlich als Ferienorte zu betrachten – die Mietpreise nach Karneval. Und zum anderen träumt jeder brasilianische Städter oder Binnenlandbewohner vom kleinen Heim am Meer.

Damit das Objekt der Träume erschwinglich wird, tun sich häufig ein Dutzend Freunde oder mehrere Familien zusammen, und teilen sich Haus und Miete. Dabei entstehen gelegentlich Campingplatz-ähnliche Verhältnisse, wenn etwa – wie hier in der Nachbarwohnung im Januar – sechs Erwachsene und ebenso viele Kinder sich in einer Ein-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung drängen. Die Außendusche wird zum Zweitbadezimmer, die Terrasse zum erweiterten Wohn-, Ess- und Schlafraum, wenn der Platz auf dem Fußboden im Haus nicht ausreicht. Dabei sind aber alle durchaus glücklich, es ergibt sich eine praktische Arbeitsteilung, bei der jede der Frauen weniger zu tun hat, als in ihrem normalen Leben, und bei der größere auf kleinere Kinder aufpassen – ist ja alles nah beieinander. Große Häuser sind nicht gefragt, weil zu teuer. Hauptsache, man wohnt am Strand, am besten in Steinwurf-Entfernung.

Darauf haben sich die Dorfbewohner eingestellt. Gärten gibt es immer weniger hier im Dorf. Wo auch nur ein paar Meter Grün waren, hat jeder, der es sich irgend leisten kann, ein Zweit-, Dritt- oder Viert-Haus hingestellt: zum vermieten. Meine Vermieterin hat es sogar geschafft, eine Art Wohnblock aus ihrem eigenen Haus zu machen. Es steht am Hang, und hatte mal einen herrlichen Meerblick. Jetzt sehe ich (im, Erdgeschoß) auf die Blumen und Büsche, die ich glücklicherweise gleich bei Einzug auf die 1,50 mal 2,50 Meter Brachland vor meiner Terrasse gepflanzt habe. Die Leute in der Wohnung neben mir sehen auf das neue erste Stockwerk des Nachbarn.

Oben – sozusagen in der Suite Royal - wohnt die Chefin selbst mit ihrer Familie: Von ihrer Terrasse und Küche ist das Meer noch zu sehen. Dahinter sind zwei weitere Ferienwohnungen angeklebt, deren einzige Fenster in der Front neuerdings auf eine Mauer blicken lassen – weil der Nachbar auf dieser Seite beschlossen hat, sein Grundstück einzugrenzen. Über die düsteren Mauerwohnungen hat die Chefin eine weitere Reihe von drei Ferienbehausungen gestülpt, die sich eine einzige Terrasse teilen, von der aus das Nachbarhaus zu sehen ist. Als alle diese Bienenwaben vermietet waren – jeweils an mindestens 6-8 Personen aller Altersgruppen, ging es hier an manchen Samstagabenden zu, wie im Shoppingcenter.

Beeindruckt von den Einnahmen im sommerlichen Hochbetrieb, hat die Besitzerin des Bienenkorbs bereits neue Pläne geschmiedet. Jetzt, wo es etwas ruhiger geworden ist, will sie ihre Luxus-Suite teilen, weil die ihr ohnehin zu groß ist. In einem kleinteiligeren Appartment will sie künftig mit ihrer Familie wohnen, an den anderen Rest der Luxus-Suite eine Terrasse bauen, die dann meine Terrasse überdacht – fertig ist die achte Ferienwohnung. Dass sie dadurch meine Wohnung zu einem lichtlosen Maulwurfsbau macht, in dem fröhlich die Trampellaute der oberirdischen Bewohner hallen, scheint zweitrangig.

Ich hatte nach dieser Eröffnung leise gehofft, dass es mangels Mietern im Winter womöglich an Finanzkraft für die geplanten Umbaumaßnahmen mangeln könnte. Aber jetzt kommen sie wieder in Horden, die Menschen auf der Suche nach ihrem kleinen Heim am Meer. Wenn das so weiter geht, wird womöglich im nächsten Sommer ein weiteres zu vermieten sein: Das, in dem ich noch wohne.

Keine Kommentare:

 
Add to Technorati FavoritesBloglinks - Blogkatalog - BlogsuchmaschineBrasilien