Gestern abend habe ich einen kleinen Ausflug in einen Riesensupermarkt gemacht, ausgerüstet mit einer Windjacke gegen die Gefrierschrank-Temperaturen der Air Condition und einer Kreditkarte für die Eventualitäten. Diesmal wollte nicht ich etwas kaufen, sondern meine Vermieterin. Und zwar einen Computer. Für ihre Töchter, weil sie selbst mit nur vier Jahren Schulbesuch noch unter dem landesweiten Durchschnitt von 7,4 Jahren bei der arbeitenden Bevölkerung liegt. Die Töchter haben Frau Vermieterin bildungsmäßig schon seit Jahren überholt. Und damit sie noch ein bißchen weiter kommen im Leben, sollten sie den Computer haben.
Neuerdings können sich auch weniger gut Verdienende einen PC leisten. Die Preise sind hier in letzter Zeit sensationell gefallen – der Dollar ist schwach, die Importsteuern auf Computer und Zubehör sind gesenkt worden. Außerdem bezahlt man ja in Brasilien prinzipiell alles in Raten. Bei Immobilien sind das bis zu 84, bei Flugtickets bis zu 36, bei Computern meist nur 10-12 monatliche Zahlungen. Genau danach haben Vermieters denn auch die Kosten für das jeweilige Gerät beurteilt. Nicht nach dem Gesamtpreis, sondern nach der Höhe der einzelnen Rate. Dass 12 Raten zu 108 Reais mehr sind als 10 Raten zu 111 Reais, mußte ich erst mal genau vorrechnen. Die Wahl war überhaupt recht schwierig. Herr Vermieter zum Beispiel fand vor allem Paketpreise spannend. Sowas wie: PC, Monitor, Tastatur, Maus, Lautsprecher, Drucker, Webcam und Tischchen zum Komplettpreis. Frau Vermieter hingegen ließ sich eher von den Farben der jeweiligen Bildschirmschoner beeindrucken. Die Töchter waren nicht dabei.
Nach langen Beratungen und Erklärungen und Vergleichen und Rechnungen war die Auswahl schließlich geschafft. Und dann haben sie den Computer doch nicht gekauft. Weil Herr Vermieter aus seinem Täschchen mit Kredit- und Kontokarten nur eine einzige mitgenommen hatte: Die Kreditkarte eines konkurrierenden Supermarkts, die zwar sonst beinahe überall akzeptiert wird, aber hier bei der Konkurrenz leider nicht.
Plastikgeld ist angesagt in Brasilien. Akzeptiert sogar schon an mancher Frittenbude. Die neue Zielgruppe sind die Schwachverdiener: denen erklären in jeder Fußgängerzone die Agenten der Banken und Finanzinstitute, wie sie locker ihre Kaufkraft erhöhen - ganz ohne Verdienstnachweis. Den Zinssatz erklären sie lieber nicht; im Schnitt verlangen die Karteninstitute nämlich mehr als 10 Prozent. Im Monat. Trotzdem werden sie so reichlich genutzt, dass sie im Jahr 180 Milliarden Reais bewegen. Alle größeren Läden vom Baumarkt über die Modeboutique bis zum Elektromarkt geben zudem ihre eigenen Kreditkarten aus, die inzwischen mit 138 Millionen die ursprünglichen Bankkarten (gut 90 Millionen) längst überrundet haben. Wenn man dazu noch die normalen Konto-Karten rechnet, kommt jeder Brasilianer auf mehr als zwei Karten im Portemonnaie – Säuglinge mit gerechnet.
Herr Vermieter hat fünf Sorten Plastikgeld. Zuhause. Große Enttäuschung. Frau Vermieterin meinte: „Vielleicht treffe ich ja noch schnell einen Bekannten“ und lief sofort ein paar Runden durch den ganzen Laden. „Zu dumm“, kommentierte sie dann, „sonst hätte ich das auf die Kreditkarte von irgend jemand anderem kaufen können.“ Das ist tatsächlich ziemlich üblich hier: sich unter nicht mal immer besonders guten Bekannten Kreditkarten auszuleihen. Mit ein Grund dafür, dass beinahe die Hälfte aller Kartenbesitzer mit ihren Zahlungen in Verzug ist. Was sollen sie auch machen, wenn der Bekannte plötzlich zahlungsunfähig oder unwillig ist.
Ich habe einen Moment gezögert und dann doch verschwiegen, dass ich auch eine Kreditkarte in der Tasche hatte. Gut, dass keiner gesehen hat, wie ich zwischendurch an der Imbißbude mein Sandwich damit bezahlt habe.
Samstag, 8. März 2008
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