Dienstag, 30. Oktober 2007

Pobreme mit den Konsonanten

Letzte Woche haben mich meine beiden Beinahe-Söhne besucht. Sie sind zehn und acht Jahre alt, waren lange Jahre meine Nachbarn und haben damals oft mehr Zeit bei mir verbracht als bei ihrer Tante, bei der sie seit dem Tod ihrer Mutter leben. Jetzt dauert es vier Stunden Busfahrt, wenn sie mich besuchen wollen, und wenn sie hier sind, komme ich zu nichts, weil wir dauernd reiten gehen müssen, und Pizza backen und an den Strand zum Surfen.

Wie einer typischen Teilzeitmutter fallen mir erst mal alle Veränderungen an den beiden auf: Italo ist endlich der zweite Schneidezahn nachgewachsen. Polho wächst nur langsam, wird aber immer kräftiger, fast könnte man schon sagen pummelig. Und was mich tatsächlich etwas beunruhigt: Die beiden lernen offensichtlich gerade eine spezielle Version des Brasilianischen, die am ehesten vielleicht mit „Ultra-Brasilianish“ zu bezeichnen ist. So wie der Brasilianer Zé do Rock in den 90ern das „Ultra-Doitsh“ erfunden hat – eine in Grammatik und Rechtschreibung stark vereinfachte, aber in sich logische Version unserer ehrwürdigen aber furchtbar komplizierten deutschen Sprache.

Die beiden Knirpse stellen Ähnliches mit dem ebenfalls recht komplizierten portugiesischen Brasilianisch an. Für besser sagen sie „mehr gut“ und für größer folgerichtig „mehr groß“. Die Mehrzahl eliminieren sie völlig, die Verben verwenden sie weitestgehend in der dritten Person Singular. Überflüssige Silben lassen sie einfach weg, so wird aus liquidificador für Mixer „lificador“ - scheint ihnen wohl immer noch lang genug.

Da hört die Logik leider auf, und es folgt das komplizierte Kapitel der Konsonanten – die tanzen so wild, dass kaum ein R an seiner vom Wörterbuch vorgegebenen Stelle stehen bleibt. Ein Problem wird zum Pobrem, ein Fahrrad, bicicleta, zu briciqueta und so fort. Die R-Verschiebung ist mir hier im Nordosten schon vorher aufgefallen – nur passen bei den Knirpsen meine bisherigen Erklärungsversuche nicht ganz. Bisher hatte ich gerätselt: Hängen die Wort-Neubildungen mit den ähnlich weit verbreiteten Zahnlücken zusammen? Oder kommen die ungelenken Artikulationen vom ebenfalls reichlichen Zuckerrohrschnaps-Genuss hier im Nordosten? Spricht sich zahnlos oder betrunken leichter „Pordo“ für Fohlen als „Potro“ – die korrekte Variante? Aber wie steht es dann mit „Drobar“ für Abbiegen – wenn es korrekt viel einfacher „Dobrar“ heißen würde?

Hinzu kommt: Die Jungs haben weder Zahnlücken, noch trinken sie Alkohol. Damit scheint bewiesen, das Neu-Brasilianish - woher es auch kommen mag - wird an die Jugend weiter gegeben und verbreitet sich. Unklar bleibt: Ist dieses Wörter-Umbauen nun der kreative Beitrag des Volks zur Sprachentwicklung oder doch eher ein echtes Pobrem?

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