Sonntag, 10. Dezember 2006

Trommeln für die Götter

Wenn die Sklaven ihre Feste feierten, stopften sich die Kolonialherren Watte in die Ohren und taten, als hörten sie die Trommeln nicht. Sie konnten den Sklaven das Feiern nicht verbieten, sie hatten es versucht und die Sklaven hatten heimlich weiter gefeiert, wenn die Götter es so wollten. Vielleicht waren die Verbote auch halbherzig geblieben, weil die weißen Kolonialherren Angst hatten vor der Macht der religiösen Rituale, vor Verwünschungen und schwarzer Magie. Das weiß heute keiner mehr so genau.

Magie jedenfalls gehört hier zum Alltag. In ihrer banalisierten Form tritt sie zum Beispiel als Badezusatz auf, der dem Käufer und Badenden für umgerechnet 40 Eurocents Freunde und Reichtum verschafft, ihn vom bösen Blick befreit oder einen begehrten Mensch in Liebe entbrennen läßt. Zu solchen Mittelchen kann jeder greifen, unabhängig vom Glauben. Flyer preisen die Dienste von Wahrsagerinnen, die gegen Gebühr das traditionelle Candomblé-Orakel aus Kaurimuscheln befragen – ebenfalls unabhängig vom Glauben. Von den komplizierten und vermutlich wirksameren Ritualen der „Terreiros“, der echten Glaubensgemeinschaften, findet der Laie bestenfalls Spuren: Auf einsamen Wegen liegen gelegentlich Hühnerfedern und Schnapsflaschen, oder Perlen und halbabgebrannte Kerzen – Reste eines Opferrituals oder eines „Trabalho“, eines Rituals, mit dem jemandem Gutes oder Schlechtes angetan werden kann. Candomblé ist kein Hokuspokus und hat im modernen Brasilien durchaus prominente Anhänger: Kultusminister Gilberto Gil bekennt sich dazu, ebenso wie der halbe Stadtrat von Bahia. So offen wird die Religion allerdings bis heute nur im schwarzen Salvador da Bahia praktiziert, wo sogar Touristen in Busladungen zu den Festen der Terreiros gebracht werden. Hier in Recife lebt der Candomblé versteckt.

Deswegen halte ich es zunächst für eine Halluzination, als mitten im schicken Strandviertel Boa Viagem direkt an der Strandavenida ein Linienbus hält, aus dem Frauen in Reifröcken und Rüschenblusen steigen, Männer in Leinenhosen und weißen Hemden, ausschliesslich Weißgekleidete. Weiß ist die Farbe des Candomblé. Es ist acht Uhr abends und am Strand leuchten noch viel mehr weiße Gestalten. Manche tragen zum Weiß blaue Ketten oder blaue Haarbänder, und damit ist klar: Keine Halluzination, sondern ein Fest für die Meeresgöttin Iemanjá. Der 8. Dezember ist nicht nur der Feiertag der Heiligen Maria der Empfängnis, sondern auch der von Iemanjá – seit damals die afrikanischen Sklaven hinter jedem katholischen Gott einen ihrer Götter versteckt haben.

Es hat etwas von einer Filmszene, als sich die weiße Gesellschaft auf einer Art runder Tanzfläche am Strand versammelt und anfängt, uralte Gesänge in der afrikanischen Sprache Yorubá anzustimmen - direkt vor der urbanen Kulisse der mehrspurigen Strandavenida und der Wolkenkratzer. Ein paar Touristen kommen neugierig gucken – von den Bewohnern der schicken Apartmenthäuser ist niemand zu sehen. Vielleicht haben sie Angst vor schwarzer Magie. Immer lauter rufen die Trommeln, immer mehr Menschen drängen sich auf der kleinen Fläche, in deren Mitte immer mehr Blumen darauf warten, Iemanjá überreicht zu werden. Kurz vor Mitternacht spricht ein weißhaariger Herr ins Mikrofon. Er erklärt den Tanzenden, daß dieser Platz am Strand ihnen gehört, daß sie dieses Rund von nun an jederzeit für Rituale nutzen können. Die Stadtverwaltung hat sich den Traditionen gebeugt. Weil auch in der Stadtverwaltung manche vom „Santo“ sind, wie der Herr sagt. Weil die Vereinigung der Pai-de-Santos, der Priester des Xangó*, nicht nachgelassen hat in ihrem Kampf um die Anerkennung ihrer Religion. Der Candomblé hat sich ein Stück Boa Viagem erobert.

Punkt Mitternacht tragen die Gläubigen einen Berg weißer Blumen zu einem hölzernen Fischerboot. Damit werden die Opfergaben weiter draussen auf dem Meer an Iemanjá übergeben, wie seit Urzeiten. Oben auf der Tanzfläche gehen die Gesänge weiter, rufen die Trommeln weiter. Sie werden die ganze Nacht trommeln, bis zum nächsten Morgen. Weil das die Tradition und die Götter so wollen. Die Anwohner können sich ja Watte in die Ohren stopfen und so tun, als hörten sie nichts. So wie damals.



* In Recife heißt der Candomblé auch Xangó

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