Montag, 4. Dezember 2006

Auf der Suche nach dem Geburtstagskuchen

Brasilianische Bürokratie ist anders. Flexibler. Persönlicher. Sympathischer. Und manchmal sogar schneller.

Letztens rief mir Luciana abends auf der Strasse hinterher: „Komm mal wieder deine Post holen, ich habe einen aviso für dich!“ Das muß der Kuchen sein, dachte ich. Meine Mutter hat mir einen Geburtstagskuchen geschickt, und wo ich wohne, kommt keine Post an. In den Strandorten der Gegend gibt es weder Briefträger noch Postämter. Statt dessen hat jedes Dorf einen Einwohnerverein mit einem Vereinsgebäude und Postfächern für die Vereinsmitglieder. Wer Post bekommen will, muß zuerst Mitglied im Einwohnerverein werden, um einen Schlüssel für eine der bienenwabenkleinen Postfächern zu ergattern. Für knapp 60 Eurocents pro Monat und Mitglied sortiert Luciana, die Vereinsangestellte meines Dorfs, die Briefe in die Fächer. Kommen Sendungen, die nicht in die Waben passen – wie etwa Geburtstagskuchen – , hinterläßt der Postwagenfahrer einen „aviso“, einen Hinweiszettel, dass ein Päckchen im nächsten Postamt wartet. Und weil es nur eine kurze Zeit dort wartet, sagt Luciana in solchen Fällen Bescheid. Nach Feierabend, auf der Strasse und ganz ohne Dienstvorschrift oder Überstundenlohn.

Im 30 Kilometer entfernten Cabo de Santo Agostinho gibt es ein spezielles Postamt nur für die Strandorte. Eine Art Lieferanteneingang mit einem einzigen Schalter, an dem keine Briefe aufgegeben werden können, nur abgeholt. In kleinen mit Gummibändern zusammengehaltenen Stapeln wartet dort vor allem die Korrespondenz all derjenigen, die kein Postfach haben. Jeweils ein Stapel für jeden Ort, schön alphabetisch geordnet: Telefonrechnungen, Ratenzahlungsmahnungen, dazwischen sehr vereinzelt mal ein handgeschriebener Brief von Verwandten.

Seu Chico ist Herr über die Stapel. Während er konzentriert in den Umschlägen blättert, halten die Wartenden ein Schwätzchen. Eine dicke Frau im Kittel wartet auf Post von ihrem Sohn, jeden Montag kommt sie gucken, ob er geschrieben hat, so wie andere Leute sonntags in die Kirche gehen. Ein alter Mann im verschlissenen Anzug wartet auf seinen Rentenbescheid, fünfzig Jahre arbeitet er als Zuckerrohrpflücker, jetzt mag er nicht mehr. Seu Chico kennt die meisten Wartenden mit Namen. Die dicke Dame vorn in der Schlange muß ihm nicht mal ihren Ausweis hin halten, schon streift er das Gummiband vom Stapel „Suape“ und blättert die Briefe einzeln durch. Von A bis Z. Nichts vom Sohn für die Dame. „Wirklich nicht?“, fragt sie traurig und Seu Chico blättert freundlich noch einmal von Z bis A. Wirklich nichts.

„Deins geht ganz schnell“, beruhigt mich ein wartender Bürobote in Uniform, als er meinen aviso sieht. Tatsächlich, zielstrebig schlurft Seu Chico zu einem Aktenschrank und angelt einen dicken Umschlag herunter. Sorgfältig malt er die Nummer des aviso auf ein Formular, das ich unterschreiben muß, bevor er mir den Umschlag überreicht wie ein Geschenk. Für einen Kuchen ist er allerdings reichlich flach. Es sind Zeitschriften. Für 28 Euro per Luftpost aus Deutschland geschickt. Sie waren sechs Wochen unterwegs. Ob der Kuchen auch so lange braucht? „Wenn du die Registrierungsnummer hast, kannst du nachmittags Vladimir anrufen“, rät mir Seu Chico. Vladimir ist Herr über den Computer des Postamts. Er kann auf der Stelle herausfinden, wo mein Kuchen ist, verspricht Seu Chico und schreibt mir die Telefonnummer auf.

Nachmittags erreiche ich Vladimir. „Ich rufe gleich zurück“, sagt er, nachdem ich ihm das Problem geschildert habe. Zum Zeitvertreib fange ich an, mir das Schicksal meines Kuchens auszumalen: Von einem altersschwachen Postauto gefallen und im Strassengraben gelandet, Opfer von streunenden Hunden oder gar Ratten? Verschimmelt im tropischen Lagerraum einer schlampig organisierten Verteilzentrale? Verputzt am Kaffeetisch eines hungrigen Briefträgers? Nach kaum zehn Minuten klingelt das Telefon. Vladimir hat den Computer befragt. „Dein Päckchen ist nie bis nach Brasilien gekommen!“, sagt er. „Es ist noch in Deutschland. Du mußt dort nachforschen lassen.“ Oh je. Wer schon einmal einen Nachforschungsantrag bei der deutschen Post gestellt hat, weiss: Dafür sind umständliche Formulare auszufüllen. Abzustempeln. Einzureichen. Und die Bearbeitung dauert meistens deutlich länger als zehn Minuten.

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