Samstag, 10. Juli 2010

Freundliche Lügen aus dem Callcenter

Wer heutzutage eine Dienstleistung braucht, hat es ja immer seltener mit echten Menschen zu tun. Sprachcomputer steuern unter Abfragung persönlicher Daten von Geburtsdatum bis zum Namen der Mutter (vermutlich, um sicher zu gehen, dass sie nicht ihrerseits mit einem Computer sprechen) durch komplizierte Menüs, und wenn das Ziel endlich in erreichbarer Nähe gerückt scheint, bricht gerne die Leitung zusammen. Manchmal bedienen einen auch als Menschen getarnte Roboter, die vorformulierte Texte vom Teleprompter ablesen, vollkommen unbeeindruckt vom Gesprächsanteil des Kunden.

Mit diesem Spiel habe ich den größeren Teil des letzten Tags vor meiner Abreise zugebracht. Den letzten Versuch, musste ich leider abbrechen, weil es Zeit wurde, an Bord des Flugzeugs zu gehen, das mich nach Deutschland bringen sollte.

Ich hatte vorgehabt, mein Internetabo für die zwei Monate Abwesenheit zu unterbrechen. Die Servicenummer des Anbieters ist aus dem Ausland nicht zu erreichen. Leider sei es nur über diese Nummer möglich, eine Unterbrechung zu veranlassen, so sagte die letzte der freundlichen Callcenter-Mitarbeiterinnen, kurz bevor ich ins Flugzeug stieg. Trotzdem versuchte ich, über eine Website für Reklamationen, doch noch zu meiner kostensparenden Unterbrechung zu gelangen. Tatsächlich erhielt ich am 9.6. eine Antwort auf meine Anfrage: Leider sei es den Mitarbeitern meines Internetanbieters nicht gelungen, mich telefonisch zu erreichen, und deswegen konnten sie mir nicht helfen. Logisch. Wie sollten sie mich auch unter meiner brasilianischen Festnetz-Nummer erreichen, wenn ich in Deutschland war. Das mailte ich den Unbekannten zurück – und bestärkte dabei noch einmal meine Bitte um Unterbrechung des Internetservices bis zum 3. Juli. Es kam keine Antwort mehr.

Wieder an meinem brasilianischen Schreibtisch, musste ich feststellen: keine Internetverbindung herzustellen. Also die Servicenummer angerufen. Und erfahren: mein Abo war unterbrochen! Sie könne gerne die Wiederherstellung beantragen, sagte die Dame im Callcenter, aber ich müsse mit 24-48 Stunden Wartezeit rechnen, länger gewiss nicht, das garantiere sie mir. Als ich nachhakte, ob das nicht schneller hinzubekommen sei, brach die Leitung zusammen. Ich habe mich dann einfach zuerst um die Pferde gekümmert, das Haus geputzt, die Reisewäsche gewaschen und Freunde besucht.

Nach 48 Stunden lief das Internet immer noch nicht. Eine weitere freundliche Callcenter-Mitarbeiterin erklärte mir, ihre Kollegin habe vor 48 Stunden zu Protokoll gegeben, sie habe mich über die Unterbrechung informiert – und nicht etwa eine Wiederherstellung meiner Leitung veranlasst. Das könne aber jetzt sofort nachgeholt werden. Allerdings sei die Wartezeit…

Ich verlangte, mit einer höheren Hierarchiestufe verbinden zu werden. Die freundliche Dame von der Supervision verstand mein Unglück und versprach zu veranlassen, dass ich binnen weniger als 24 Stunden online gehen könne. Ihr Wort darauf, sagte Elaine.

24 Stunden später lief mein Internet nicht. Der freundliche Edimar erklärte mir, das würde es auch noch lange nicht tun, denn es sei ja am 12.6. abgestellt worden und die Mindest-Unterbrechungszeit betrage 30 Tage. Das hatten seine beiden Vorgängerinnen doch glatt versäumt, mir mitzuteilen! Ich verlangte wieder nach höherer Hierarchie-Ebene.

Eine freundliche Dame aus der Supervision bestätigte die Worte Edimars. Es sei ihr nicht klar, warum ihre Vorgängerinnen anderes vermittelt hätten. Ich wurde dramatisch. Sprach von Aufträgen der nächsten Monate, die mir nun durch die Lappen gingen. Von Miete, die ich nicht würde zahlen können. Nur die 12 hungernden Kinder sparte ich mir noch auf. Carol hielt auch so Rücksprache mit noch einer höheren Ebene. Und teilte mir dann mit, sie könne mein Internet jetzt sofort wieder zum Laufen bringen. Dann müsse ich allerdings die volle Gebühr zahlen, als sei das Netz nie abgestellt gewesen. Grumpf. Ansonsten könne ich ja bis Montag warten, dann würde ich eine Antwort auf meine Reklamation bekommen und erfahren, wann denn mein Netz normal wieder angestellt werden könne.

Ich sagte, na dann habe ich ja keine Alternative. Doch, behauptete Carol. Und fragte – ganz offensichtlich für die Rechtsabteilung, denn diese Gespräche werden natürlich alle mitgeschnitten: Sind Sie also einverstanden, die vollen Gebühren zu bezahlen. Muss ich ja, grummelte ich, aber hinterher kann ich mich ja immer noch beschweren. Nein so geht das nicht, befand Carol nun sehr streng. Entweder ich sagte ja, ohne wenn und aber, oder ich wartete bis mindestens Montag. Normalerweise würde man so etwas Erpressung nennen. Nur bei Internetanbietern anscheinend nicht.

Andererseits hatte ich wahrlich keine Lust noch das ganze Wochenende von der Welt abgetrennt zu bleiben. Also forderte ich Carol säuerlich auf: Sie können Ihre Frage nochmal stellen. Und antwortete brav: Ich bin einverstanden. So, Ihr Netz ist bereits freigeschaltet, säuselte Carol fröhlich. Darf ich mal live testen, fragte ich. Aber gern.

Es ließ sich keine Verbindung herstellen. Das kann nur ein technisches Problem sein, befand Carol und stelle mich bereitwillig in die entsprechende Abteilung weiter. Dort informierte mich eine freundliche Technikerin, dass mein Netz zwar freigeschaltet sei. Dass aber zur tatsächlichen Verbindung zusätzlich einer Autorisierung nötig sei. Und die könne bis zu 24 Stunden dauern.

Ich war sprachlos. Erklärte dann der Technikerin mein komplettes Gespräch inklusive Erpressung von Carol. Worauf sogar die Technikerin kurz sprachlos blieb. Noch mehr, als sie feststellte, dass Carol mir zudem eine falsche Protokollnummer angegeben hatte.

Daraufhin verbündetet sie sich etwas regelwidrig mit mir, nannte mir die korrekte Nummer und bot mir an, mich umgehend in die gleiche Supervisionszelle zurückzustellen, in der Carol an ihrem Headset saß und sicher dachte, ich fände sie garantiert nie wieder. Dann müssen Sie sich nur noch mit ihr verbinden lassen, sagte meine gerechtigkeitsliebende Freundin.

Ha! Ich malte mir aus, wie ich mit zunächst unverfänglichen, dann aber immer fieseren Fragen zum Punkt hinlenken würde. Alles für die Aufnahme und die Rechtsabteilung. Carol sollte sich wundern!

Meine Triumphgedanken währten nicht lange. Carol?, fragte eine Dame aus der Supervisionsabteilung. Die arbeitet erst nachmittags. Aber wie konnte sie dann um 8 Uhr 57 mit mir gesprochen haben? Das konnte sich die Dame leider nicht erklären. Rufen Sie doch später nochmal an, forderte sie mich freundlich auf.

Später lief das Internet.

2 Kommentare:

Bruno hat gesagt…

Ich habe gestern meiner Frau die Story übersetzt und sie wurde immer stiller bzw. schlußendlich kreidebleich. Seit knapp 2 Jahren arbeitet sie in SP als Supervisora in einem Call-Center. Zum Schluß brach sie in Tränen aus und gestand mir, daß eine Kollegin mit ihr letzte Woche das gleiche dumme "Spielchen" getrieben hätte. Die andere Supervisora wimmelte unter Verwendung des Namens meiner Frau einen ungebliebten Kunden ab. Allerdings arbeitet meine Frau mit dieser Kollegin zur gleichen Tageszeit, sodaß ein Nachweis dieses Betruges schwieriger wurde. Die nächst höhere Führungsebene (coordenadora) ist die beste Freundin der Betrügerin und der Firmenchef meinte nur "Ist schon gut.... Habe jetzt keine Zeit dafür... Werde mal mit ihr darüber in Ruhe(!!!) reden..."

Nebenbei bemerkt, "verschwanden" meine Telefonpartner auch schon ziemlich oft! Speziell wenn es um Reklamation bei Banken, Casas Bahia oder ähnliches ging...

Anonym hat gesagt…

Haha Callcenter sind ein tolles Thema hier in Brasilien. Vor kurzem sind mein Mann und ich umgezogen und suchten auch einen geeigneten Internetanbieter. Wir entschieden uns für Velox. Vorrausetzung war allerdings die Installation eines Telefons. Nun gut eigentlich brauchen wir kein Festnetz, aber naja, wir liessen es einrichten. Ein paar Tage später kam der Installateur und sagte mir anschliessend, dass wir in 48 h anrufen könnten, um das Internet zu bestellen. 48 Stunden später riefen wir an, die ersten beiden Male kappte die Leitung, beim dritten und vierten Mal warteten vier jeweils mindestens 20 min und niemand ging ran. Beim 5. Mal kamen wir endlich durch und was bekamen wir zu hören? "Nee, momentan steht für ihren Bereich kein Internet zur Verfügung, versuchen Sie es doch nächste Woche noch einmal, vielleicht haben wir dann etwas für Sie!". Wir leben in der zweitgrößten Stadt Brasiliens und sie hatten keine freie Internetleitung für uns! Darauf hatte man uns beim Vorgespräch und beim Abschluss des Telefonanschlusses natürlich nicht hingewiesen. Wir hen den Auftrag dann natürlich auch storniert, die Installationskosten mussten wir leider trotzdem bezahlen :(
Liebste Grüße und bitte weiterhin viele tolle Erfahrungen posten, es ist für mich schön zu sehen, wie sich die Erlebnisse ähneln! :)

 
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