Dienstag, 25. August 2009

So ist das auf dem Dorf : Vom toten Fohlen, der Tollwut und einem tollen Grillabend

Es fing damit an, dass letzte Woche mein Fohlen lahmte. Vielleicht hatte es ein Huf getroffen, als fremde Pferde in der Nähe gestritten hatten. Es war keine Wunde zu erkennen, aber das kommt vor. Normalerweise nur eine Frage der Zeit. Also gab ich ihm Entzündungshemmer, ein paar Extra-Vitamine und wartete ab. Am nächsten Morgen konnte die Kleine nicht mehr aufstehen. Das ist schlecht bei einem drei Monate alten Fohlen, denn dann erreicht es Mutters Zitzen nicht mehr. Inzwischen weiß ich, wer im Dorf alles melken kann. Und dass so eine Mutterstute bis zu 20 Liter Milch am Tag produziert. Wir haben die mühsam ermolkenen Mengen mit Kuhmilch ergänzt, außerdem gab es Antibiotika – für alle Fälle.

Am nächsten Tag fragte das ganze Dorf ständig danach, ob es der Kleinen schon besser ginge. So ist das auf dem Dorf. Die Nachbarin offerierte Kokosnüsse, weil deren Wasser die beste Nährlösung ist. Ein Anderer holte beim Gesundheitsposten Nährsalzlösung für Durchfallpatienten. Ein Dritter baute einen Sonnen- und Regenschutz, und ich legte ihr ein improvisiertes Kissen unter den Kopf, damit sie mit dem Auge nicht auf dem Boden zu liegen kam. Abgesehen von wilden Schlürforgien, besonders bei der Muttermilch, wurde das Fohlen trotzdem sichtlich schwächer. Hatte es in der ersten Nacht noch mit den Vorderbeinen eine rechte Grube ausgehoben, bei den Versuchen, aufzustehen, wedelte sie am dritten Tag nicht mal mehr mit dem Schweif gegen die Fliegenbelästigung an.

Derweil waren in der Umgegend drei andere Fohlen und ein erwachsenes Pferd verstorben. Einer hatte sogar einen Tierarzt gerufen, der allerdings nur etwas von Knochenkrankheit wegen der kalten Nächte gefaselt hatte. Die verschriebenen Medikamente brachten nichts, außer dass das Pferd am Folgetag verstarb. Ein Fohlen hatte den Besitzer beißen wollen und Schaum vor dem Mund – Anzeichen von Tollwut. Bei Tollwut bricht auch oft die Hinterhand zusammen. Aber es gehört Fieber dazu. Am Abend des dritten Tages hatte mein Fohlen Fieber. Und das Jungpferd eines Bekannten war in der Hinterhand zusammen gesackt.

Als er deswegen zur Veterinärhandlung im Stadtzentrum fuhr, sah er dort ein großes Plakat hängen: Achtung Tollwut! Anscheinend grassierte der Virus bereits seit Wochen im Bezirk. Und der Bürgermeister hatte es für ausreichend gehalten, im Stadtzentrum seiner großflächigen Gemeinde auf die Gefahr hinzu weisen. Es hatte sogar eine kostenlose Impfkampagne gegeben. Nur wir hier auf dem Land wussten von nichts. Das ist das Schlechte am Landleben. In der Zwischenzeit hatte das Fohlen einen Helferfinger mit der Mutterzitze verwechselt und zärtlich in den Finger gebissen. Am vierten Tag, am Sonntag, war mein Fohlen tot. Es hatte weißlichen Schaum vor dem Maul.

Am Wochenende haben bei der Stadtverwaltung alle frei, keine Notfallnummer erreichbar, nichts. Am Montag zeigten die Behörden dafür umso größeres Interesse an meinem toten Fohlen. Tollwut ist tödlich. Auch für Menschen. Sobald die ersten Symptome auftreten, ist es schon zu spät. In Stundenfrist kam ein offizieller Tierarzt die Leiche abholen. Erst eine Obduktion kann einen gesicherten Befund ergeben. Dafür muss das zu untersuchende Gehirn noch frisch sein. Trotz der noch schwachen Beweislage mussten wir direkten Helfer umgehend ins zwei Busstunden entfernte Recife fahren, denn nur dort konnten wir uns die Anti-Tollwut-Lösung spritzen lassen.

Im ersten Krankenhaus sagte der Mann an der Pforte: „Wir nehmen heute keine Notfälle mehr an, wegen Überlastung.“ Das darf er natürlich so nicht sagen, weil das öffentliche Gesundheitssystem für jeden da ist und jeden zu behandeln hat. Wir haben trotzdem nicht auf Behandlung bestanden: Im Warteraum hockten Dutzende Grippeopfer mit und ohne Mundschutz – Ansteckung garantiert.

Im zweiten Krankenhaus verpasste uns eine freundliche Oberschwester die erste von insgesamt 5 Spritzen mit Impfstoff gegen Tollwut. Nur die Antivirale Lösung durfte sie uns nicht geben, weil die von einer Ärztin verordnet werden muss. Zwei Busse und eine Stunde später standen wir in einer Schlange im dritten Krankenhaus. Hinter uns ein Grippeopfer, vor uns ein mürrischer Trainingshosenträger, sonst noch im Raum: vier Krankenschwestern, zwei Ärzte, und wechselnde Notfälle. Einmal hing eine ältere Diabetikerin so in den Seilen, dass schnell das Elektroschock-Gerät geholt wurde. Dann sprang ein Mann in Shorts und ohne T-Shirt herein, dem die Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt waren. Aus seinem Verband am Unterschenkel tropfte Blut auf den Boden. Später erzählte uns der Arzt, der Mann habe ins Haus der Diabetikerin eingebrochen – auf der Gesundheitsstation trafen sich Opfer und Täter schneller wieder, als sie wohl geahnt hatten.

Wir bekamen jeder insgesamt vier Spritzen. Zwei mit Kortison, damit die Antivirale Lösung keinen Allergieschock auslöste, zwei mit der Lösung selbst. Nebenwirkungen unerheblich, sagte der Arzt, bisschen Müdigkeit vielleicht. Ärzte untertreiben in solchen Fällen immer, aber dieser war der größte Untertreiber, der mir je unter gekommen ist. Nach der vierten Spritze hatte ich Mühe, die drei Meter bis zur Wartebank zu schaffen. Und als ich artikulieren wollte, wie es mir ging, kam nur ein lalles Nuscheln aus meinem Mund. Wie sollte ich die drei Busse und mindestens ebenso viele Stunden Fahrt nach Hause nur schaffen?

Jedenfalls musste ich dringend vorher noch auf Toilette gehen. An der Bushaltestelle wusste ich nicht mehr: War ich auf Toilette gewesen oder nicht? Leider wusste es mein Begleiter auch nicht mehr. Im zweiten Bus wurde mir klar: Ich war nicht. Der dritte Bus kam nicht. Mit einer Horde Abendschüler standen wir in der Nacht, und wenn es irgendwo einen trockenen Platz gegeben hätte, wäre ich gerne dortselbst eingeschlafen. Leider nieselte es, was die Sache mit der vollen Blase nicht leichter machte . Nach einer Stunde kam der Bus, aber eigentlich passte keiner mehr rein. Der Vorteil daran war, dass wir nicht umfallen konnten, selbst wenn wir es versucht hätten. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich den Hügel zu meinem Haus hinauf gekommen bin. Ich weiß nur, am nächsten Morgen bin ich in meinem Bett aufgewacht.

Kurz darauf klingelte das Telefon. Eine Dame von der Behörde wollte wissen, wie viele andere Personen noch mit dem Fohlen Kontakt gehabt hätten. Die müssten alle geimpft werden. Habe ich heute umgehend an alle Betroffenen weiter gegeben. „Brauch ich nicht“, sagte der eine. „Ich hab Angst vor Spritzen“, sagte der andere. „Ok, mach ich morgen oder so“, meinte der dritte. Das kommt davon, wenn keiner die Leute darüber aufklärt, welche Gefahr Tollwut bedeutet. In einem anderen Viertel sollen die Leute aus dem frisch verendeten Rind noch einen tollen Grillabend gemacht haben. So ist das eben auch manchmal auf dem Dorf.

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Das mit Ihrem Fohlen muss für Sie ein schwerer Schlag gewesen sein! Es geht aber weiter und hoffentlich hat bleibt im Stahl nichts zurück.
Jetzt haben wir ja alles, Scheine- Normalegrippe, Tollwut und AIDC was einem so die Gesundheit rauben kann! Für die Globo Reporter wäre dies Mal ein neues Thema und in den täglichen Nachrichten sollte/müsste berichtet, darauf hingewiesen werden.

Chrizzo hat gesagt…

Ich hoffe, Sie haben sich von den Strapazen wieder erholt! Bewundernswert ist Ihre Gelassenheit.
Aber auf dem Land in Deutschlands Norden gibt es manchmal auch Unglaubliches. Wir haben mal um ein Diphterie-Shettie-Fohlen gekämpft, weil der Besitzer zu geizig für die Impfe nach der Geburt war. Leider haben wir verloren. Ich war wohl nicht so gelassen wie Sie, aber damals war ich auch erst 17 Jahre.

Bruno hat gesagt…

Oi Christine!

Tudo bem?

Im August hattest Du mir geantwortet: „Danke fürs ... Korrekturlesen - das fehlt mir manchmal ...“

Auf Grund eigener Bucherfahrungen weiß ich, dass sich schnell einmal Flüchtigkeitsfehler einschleichen. Diesmal fiel mir folgendes auf:

„Derweil waren in der Umgegend drei andere Fohlen und ein erwachsene Pferd verstorben.“

„Und das Jungpferd eines Bekannten war in der Hinterhand zusammen gesackt.“ Da bin ich mir nicht sicher! Bin halt schon zu lange weg aus ALE...

„Am Wochenende haben bei der Stadtverwaltung alle frei, keine Notfallnummer erreichbar, nichts. Am Sonntag zeigten die Behörden dafür umso größeres Interesse an meinem toten Fohlen.“ Meintest Du eventuell „Am Montag“ ??? Wäre sinnvoller...

„Mit einer Horde Abendschüler standen wir in der Nacht und wenn es irgendwo einen trockenen Platz gegeben hätte, wäre ich gerne dortselbst eingeschlafen.“

Wenn Du willst, kann ich Dir die Korrekturen auch mailen. Denn ich bin der Meinung, dass dies nicht unbedingt für jeden User hier sichtbar sein muß.

Um abraço und mach weiter so!

Bruno, der heute 3 Wochen Nordeste gebucht hat und so endlich mal aus dem hässlichen Sampa rauskommt

 
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