Donnerstag, 6. August 2009

Erwachsener Ringelpiez im Regen


Ringelpiez ist so ein Wort, das meine Oma gelegentlich verwendet hat. Nach meiner Oma habe ich es glaube ich nie mehr gehört. Und mit Aerobic hat es sowieso nichts zu tun. Zu dem, was ich gestern erlebt habe, passt es trotzdem. Es gibt nämlich neuerdings einen Aerobic-Kurs hier im Dorf. Montag und Mittwoch abends, mit richtiger Lehrerin und mitten auf dem Dorfplatz - der ja seit dem letzthin erfolgten halbmillionenschweren Umbau erleuchtet ist, wie ein Fußballplatz. Erfahren habe ich davon beim Capoeira-Training. So als Tipp von einer rundlichen Mit-Capoeirista, wie wir Frauen uns noch ein bisschen fitter machen könnten für die schwereren Bewegungen. Der Aerobic-Kurs sei umsonst und echt gut.

Montag war ich in der Stadt und nicht rechtzeitig zurück. Aber gestern hatte ich nach der Bürozeit nur ein bisschen Yoga gemacht und nichts Dringendes vor. Schmiss mich also in Shorts, T-Shirt und Flip-Flops - meine Turnschuhe haben ja leider die Beuteltiere gefressen – und stieg den Hügel hinab zum Platz. Unterwegs traf ich einige, deren Bekleidung ahnen ließ, dass sie dasselbe Ziel hatten wie ich: knallenge, fluoreszierende Leggings, noch engere Tops, dazu nagelneue Turnschuhe und reichlich Deo-Duft. Auf den neuen Betonbänken am Platz saßen nochmal ein bis zwei Dutzend Wartende. Und es kamen immer mehr.

Punkt halb acht ging es los. Der Ringelpiez. Alle sollten wir uns an den Händen fassen und einen großen Kreis bilden. Es wurde eher ein großes Ei. Aus vielleicht 50-60 Dörflerinnen, von 16 bis 60 und einem Dörfler um die 60. Die Lehrerin, um die 50, knackiger Hintern und ziemlich runder Bauch, machte uns dann vor, wie wir uns in Form bringen sollten. Und zwar laut singend: „Ich trainiere meinen ganzen Körper… mit meinem Finger“, darauf folgen winzig kleine Drehungen des Zeigefingers, einmal links, einmal rechts. Weiter im Text: „Ich trainiere meinen ganzen Körper mit meiner Hand“, Drehung der Hand, einmal links, einmal rechts. „Ich trainiere meinen ganzen Körper… mit dem Arm“, frei schwingender Trizeps bei den meisten in der Runde zeigte: Wir haben diesen Kinderkram hier nötig. Weiter ging es mit dem lustigen Spruch für den Fuß, das Bein, die Hüfte, die Brust und den Hintern. Beim Hintern stöhnte meine Nachbarin, eine ältere Dame, und meinte: „Wenn das so weiter geht, dann lernen wir hier noch tanzen wie Maicon Jackson.“ Ich fand vor allem die Sprüche anstrengend. Die sang meine Nachbarin freudig im Chor mit.

Dann durften wir im Ei laufen, immer im Takt zu „Don‘t stop til you get enough“ – das sah leider bei keiner von uns so richtig aus wie bei Michael Jackson. Auf Zuruf der Lehrerin griff sich jede ihre Vorläuferin und auf ging‘s zum Ringelpiez mit Anfassen, wie meine Oma das genannt hätte: Paarübungen, bei denen wir uns an den Händen fassten, gegenüber standen, abwechseln die Beine hoben, in die Knie gingen, uns in den Hüften wiegten und so fort. Dabei begann es zu regnen. Erst sanft wie eine sprühende Erfrischung, dann immer stärker.

Während mir meine Gesichtscreme im Auge brannte, sprangen die anderen Mädels ungestört weiter herum. Ihre engen Lycra-Klamotten behielten auch klatschnass ihre Eins-A-Passform, während ich langsam aussah wie beim Wet-T-Shirt Contest. Keiner schien es etwas auszumachen, durch die Pfützen zu platschen. Wir hielten durch, eine ganze Stunde lang. Am Ende sagte meine Mit-Capoeirista fröhlich zu mir: „Und, ist doch klasse, oder?“ Dann schrie sie ihre Tochter an, die sich gerade aus dem Schutz des Vordachs einer Dorfkneipe hervor wagte: „Bist du wahnsinnig, geh sofort aus dem Regen!“ War wohl eher ein erwachsener Ringelpiez im Regen.

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