Mittwoch, 21. Januar 2009
Wer will denn noch Mangos!
Damals habe ich es nicht verstanden. Als ich das erste Mal einen Spaziergang hier durch den Wald machte und es auffällig nach Vergorenem roch, dachte ich flüchtig an Open-Air-Partys, Vollmondfeste und verschütteten Schnaps. Später entdeckte ich, dass der Geruch von den Mangos ausging. Braun verfärbte, Orange leuchtende, Grün schimmernde Früchte lagen zu Dutzenden auf dem Waldboden und verwandelten sich in Alkohol. Anscheinend wollten nicht mal die kleinen Pinselschwanzäffchen sie fressen, die sich hier überall auf den Zweigen tummeln. Und notleidende Menschen gab es wohl auch keine, die ihren Speiseplan mit Mangos aufbessern wollten. Seltsam, fand ich.
Mangos gehören zu meinen Lieblingsfrüchten, verfeinern das morgendliche Shake und den Salat und können gar nicht reichlich genug vorhanden sein. Im vergangenen Sommer habe ich rucksackweise unreife Mangos im Wald gesammelt und daraus Chutney gekocht. Und aus den allerletzten reifen Früchten eine Marmelade probiert, die so fein wurde, dass die wenigen Gläser leider nur ein paar Tage hielten.
Als ich im letzten grauen und verregneten Tropen-Herbst, damit beschäftigt war, das kleine Fischerhäuschen zu renovieren, in dem ich seitdem wohne, habe ich zwischendurch die Blätter im Garten zusammen geharkt und höchst erfreut mitten im Laub ein paar gnadenlos zerpickte dunkelgrünbraune Früchte entdeckt. Mangos. Aus der zweiten, weniger hübschen und ertragreichen Ernte des Jahres. Ein Blick nach oben bestätigte: auf dem Nachbargrundstück ragte ein imposanter Mangobaum in den Himmel, dessen Äste teils bis zu mir herüber wuchsen.
Zuerst warf der Baum Blätter zu mir. Reichlich. Täglich. Geduldig kehrte ich seinen Abfall in einer Gartenecke zusammen und wiederholte dabei jeden Tag Mantra-artig zu mir selbst und zur Nachbarin, die mir beim Harken zusah: „Das ist nur der Anfang, später wird er Mangos zu mir werfen!“ Später segelten außer dem Laub auch vorzeitig abgefallene Blütenstände herüber. Wenn sie ins Waschwasser fallen, machen Mango-Blüten hässliche braune Punkte auf die Wäsche, die sich nur mit Extra-Seife und viel Rubbeln wieder entfernen lassen. Manchmal vergaß ich über dem Rubbeln beinahe das Mantra.
Nach Monaten des Mantra-Aufsagens, des Kehrens und Rubbelns bildeten sich zwischen dem dunkelgrünen Laub allmählich kleine grüne Früchte. Noch später fielen so viele Mini-Mangos unreif bei mir in den Sand, dass ich beinahe die Hoffnung auf eine Ernte verlor: Vielleicht war der Baum zu alt und konnte die Früchte nicht mehr halten?
Dann endlich war es so weit. Eines Morgens vor ein paar Wochen öffnete ich meine Gartentür und da lag eine wohl geformte grüne Frucht im Sand. Meine erste Mango. Sie war nicht zu hart und nicht zu weich, ihr Fruchtfleisch von exquisitem Zart-Orange und so zart wie Butter – ohne die lästigen Fasern, die zwischen den Zähnen hängen bleiben. Ich schnitt sie in mein morgendliches Shake und trank es nahezu andächtig und schluckweise. Am nächsten Morgen fand ich fünf Mangos. Genug für Shake und einen frischen Fruchtsaft. Jedes Mal, wenn draußen ein dumpfes Plopp ansagte, dass wieder eine reife Frucht mir zugefallen war, sprang ich erfreut auf und sammelte meine Beute ein. Dann ging die Ernte richtig los, aus fünf wurden fünfzehn, und ich hatte alle Hände voll zu tun.
Das morgendliche Mangoshake war bald Routine. Außer zu Saft verarbeitete ich die Früchte der Reihe nach erst zu Speiseeis, dann schnitt ich sie in eine große Flasche, die ich mit braunem Zucker und Wodka auffüllte – das sollte in drei Monaten zu Likör werden -, und schließlich kochte ich einen Riesentopf voller Marmelade.
Am nächsten Tag hatte ich schon wieder eine Waschschüssel voller reifer Früchte. Und am übernächsten noch eine. Dabei waren das nur die schönsten, am wenigsten eingedellten: die unansehnlichen Exemplare nehme ich längst jeden Tag den Pferden als Leckerbissen mit. Letztens habe ich versuchsweise meiner Nachbarin ein paar Früchte angeboten, doch die alte Dame winkte nur müde ab: „Mangos“, sagte sei beinahe verächtlich, „wer will denn noch Mangos!“.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich nicht mit Mangos aufgewachsen bin und sie deswegen für mich irgendwie den Status von exklusiven exotischen Tropenfrüchten noch nicht verloren haben. Oder daran, dass ich als Kind einer Nachkriegsgeneration quasi genetisch darauf geeicht bin, kein Essen zu verschwenden. Jedenfalls kann ich die Mangos nicht einfach verrotten lassen. Jeden Morgen, wenn ich wach werde, öffne ich meine Gartentür und sammele nahezu zwanghaft alle reifen Mangos ein, die dort liegen. Ich zähle sie schon lange nicht mehr.
Außer allen verfügbaren Gläsern habe ich sämtliche Plastiktöpfe, Dosen und anderen halbwegs geeigneten Behältnisse mit Marmelade gefüllt. Wenn ich Freunde in der Stadt besuche, schleppe ich kiloschwere Plastiktüten voll Mangos als Gastgeschenk mit. In meinen Kühlschrank passt nichts mehr hinein, weil sämtliche Regale und Fächer voller Mangos sind. Wäsche wasche ich nur noch in einer kleinen Schüssel, weil alle anderen von Mangos besetzt sind.
Wenn es draußen ploppt, zucke ich nur noch zusammen - und lasse die frisch Gefallene liegen bis zum nächsten Großeinsammeln. Ich habe sowieso keine Gläser mehr, ich will keinen Salat und kein Eis mehr - und überhaupt habe ich mir heute zwei Ananas gekauft. Um endlich mal einen anderen Saft zu machen.
Wenn ich draußen die schwer herab hängenden Äste betrachte, dann ist kein Ende abzusehen. Vielleicht lasse ich morgen einfach alle Mangos liegen.
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4 Kommentare:
"Wer will den noch Mangos?"
Ich wäre da ein dankbarer Abnehmer, unter sicher vielen Anderen, die fernab (sub-)tropischer Gefilde dies lesen.
Aufgrund der Herkunft, und den Verhältnissen und der Zeit, in die ich geboren wurde;
Bei mir war es so, daß ich früher Mangos nicht recht einordnen konnte, zwischen Papayas, Avocados, Guaven, und allen anderen früher doch exklusiven Früchten. Deren Namen allein schon so unbekannt und doch interessant anmuteten, wie die Orte, wovon sie stammen mochten.
Die enorme Bandbreite tropischer Früchte, in einer Auswahl und Frische, wie es sie in Deutschland für den normalen Menschen nicht gibt (vom exklusiven Feinkosthandel für Besserverdienende einmal abgesehen), war und ist für mich auch das, was "Brasilien" mit ausmacht! Nach einer Weile in Brasilien, mit vielen "vitaminas" und "batidas", Gemixtem und Gemischtem aus allerlei frischem Obst, kann ein "deutscher" O-Saft aus einem Supermarkt da nicht mithalten und allenfalls Wehmut wecken. Für das, was in Brasilien doch nur "normal" ist.
Genießen sie ihre Mangos, in allen Variationen! Und, daß diese schönen Dinge möglichst lange ihren Reiz behalten! Das ist ein Teil von Brasiien, wie auch ich ihn mir träume...
Christine, da werden Erinnerungen wach! Auf unserem kleinen sitio paulista gab es einen Zitronen Hain (limao galego, die Mandarinen zum täuschen ähnlich sehen)und die Vorbesitzer ließen die Früchte unbenutzt verrotten. Deutsche Mutter konnte das natürlich nicht so geschehen lassen, und wir mußten (sehr gerne) jahrelang "geleia de limao"(the english way mit Stückchen drin)zum Frühstück essen und zu Trinken gab es nur noch eisgekühlte "lemonada", die den Durst wesentlich besser löschte als Coca,Fanta,Guarana und agua tonica.
Der verfügbare Überfluss an Früchten in Brasilien führt wohl zu dieser Gleichgültigkeit der Brasilianer. Uns klimatisch nicht gerade verwöhnten Nordeuropäer scheint inzwischen genetisch bedingt, unmöglich zu sein da weg zu sehen.
Da hast du wieder so eine sehr typische Facette des brasilianischen Wesens transparent gemacht, ohne besserwisserisch zu sein.
Abracao e continua o bom trabalho
Nick
was ich auch sehr empfehlen kann, als (für deutsche) exotische frucht: litschi !!!
schmeckt mir am besten :-)
Ist doch überall das gleiche: in Europa bezahlt man unmengen an Euros für sogenannte Flugmangos und in Brasilien vergammeln sie wie bei uns die Äpfel und Birnen im Garten, weil wir Deutschen lieber die teuren oder nichtschmeckenden "Schiffmangos" u.ä. im Supermarkt kaufen... Ist schon seltsam die Welt?!
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