Mittwoch, 14. Januar 2009

Der Gouverneur und die Stromrechnung


Wenn meine Nachbarin nicht gefragt hätte, wäre es mir gar nicht aufgefallen: Die Stromrechnung von Dezember ist noch nicht gekommen. Ihre nicht, meine auch nicht. Dona Didi war deshalb besorgt, weil mit der hiesigen Stromversorgungsgesellschaft Celpe nicht zu spaßen ist. Spätestens bei der zweiten, am Fälligkeitsdatum nicht bezahlten Rechnung kommen die Herren mit der Leiter auf dem Auto und stellen die Versorgung ab. Gnadenlos.

Manchmal kommen sie sogar schon Tage nach Fälligkeit der ersten Rechnung. Wer dann bereits gezahlt hat, aber gerade nicht zuhause ist, kann Pech haben: Ist die Zahlung im System der Celpe noch nicht verzeichnet, tun die Männer ihren grausamen Dienst. Danach wieder ans Netz angeschlossen zu werden, dauert oft lange und kostet extra. Manche Witzbolde rufen hier in der Gegend wenn sie jemanden besuchen nicht „Hallo“ vor dem klingellosen Haus, sondern „Celpe“ – nichts könnte jeden Hausbewohner schneller aus dem Mittagsschläfchen aufschrecken. Kurz: Die Celpe ist unbeliebt. Sehr unbeliebt. Und ihre Forderungen sind normalerweise eher überpünktlich.

Waren sie auch im Januar. Zumindest bei diversen Regierungsgebäuden im Bundesstaat Pernambuco. Wer darüber einen Schreck bekam, war der Gouverneur Eduardo Campos persönlich. Die Rechnungen fielen nämlich außergewöhnlich hoch aus. Grund ist eine Tariferhöhung aus dem Jahr 2005, die damals als ungültig erklärt und nun drei Jahre später doch von einem Gericht als zulässig genehmigt wurde. Die entsprechende Summe schlug die Celpe einfach allen Stromempfängern auf die Dezember-Rechnung auf. Ohne Erklärung. Ohne zusätzliche Zahlungsfrist. Und unbesehen der Tatsache, dass in vielen Häusern längst nicht mehr die Stromverbraucher von 2005 wohnen und manche sogar den Besitzer gewechselt haben. Manche Rechnungen wurden durch die zusätzlichen Forderungen bis zu 300 Prozent teurer.

Der Gouverneur verwandelte sich angesichts dieser Rechnungen von einem diskret zurückhaltenden, immer ruhigen, meist verbindlich lächelnden Politiker flugs in einen Normalbürger und Stromverbraucher: Bei seiner Presseerklärung letzte Woche wurde der Mann so laut, wie man es sonst nur vom Beschwerdeschalter der Celpe kennt. Da brüllen – meist folgenlos – die unpünktlichen Zahler ebenso wie die vielen Stromverbraucher, bei denen ein oder mehrere Elektrogeräte Opfer einer der häufigen Schwankungen der Stromspannung geworden sind. Ich kenne Menschen, denen sind so in einer einzigen Nacht TV, Ghettoblaster, Kühlschrank und sämtliche Ventilatoren durchgebrannt. Nach zwei Tagen kam ein Celpe-Mann nachgucken. Bat sich weitere 24 Tage zur internen Prüfung seines Berichts aus. Seitdem wurde nichts mehr gehört. Bei Tropentemperaturen 24 Tage ohne Kühlschrank und Ventilator zu leben, ist nicht besonders spaßig.

Eduardo Campos war inzwischen bei der nächsthöheren Instanz, der Kontrollbehörde der Stromversorger. Vorläufiges Ergebnis: Mindestens müssen die Nachforderungen in Raten zahlbar sein. Außerdem wird geprüft, ob sie in der berechneten Höhe überhaupt zulässig sind. „Niemand soll die aktuellen Rechnungen bezahlen“ ruft der Gouverneur dem Volk Hoffnung zu. Das ist er sich selbst und seinen Wählern schuldig. Schließlich hat er im vergangenen Jahr das Rennen um die Wählergunst nicht zuletzt wegen seines Versprechens niedriger Stromrechnungen gewonnen. Seine eigene Rechnung ist erst mal aufgegangen: Seit dieser Erklärung und der öffentlichen Celpe-Beschimpfung sind die Sympathiewerte für den Gouverneur auf spektakuläre 87 Prozent gestiegen.

Meine Nachbarin Didi wartet trotzdem ängstlich auf ihre Rechnung: Politikern traut sie beinahe ebenso wenig wie der Celpe.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Vielen Dank für den schönen Blog :-) Bitte entschuldigen Sie, aber da muss ich immer wieder schmunzeln, wie Sie das ganz normale, alltägliche brasilianische Chaos beschrieben. Vor allem wenn man das aus dem ach so perfekten Deutschland aus ließt ;-)

 
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