Samstag, 24. Januar 2009
Effizienz gegen Boxer und für Terroristen
Erinnert sich noch jemand an den Fall der kubanischen Boxer? Die im vergangenen August bei den panamerikanischen Spielen in Rio verschwanden, einen Vertrag mit einem deutschen Promoter unterschrieben – und bevor sie nach Deutschland ausreisen konnten, von der brasilianischen Polizei an einem Strand aufgegriffen wurden, als sie gerade den Sonnenuntergang betrachteten? Aufgegriffen, verhaftet und in Rekordzeit nach Kuba abgeschoben? Bis heute ist unklar, ob die ungewohnte Effizienz bei dieser Aktion auf ein kleines Telefonat unter den Amigos Lula und Fidel zurück zu führen ist oder nicht. Justizminister Tarso Genro leugnete damals jegliche Einflussnahme der kubanischen Regierung auf den Fall.
Dieses Mal hat Lula den bewiesenen Bitten der italienischen Regierung nicht nachgegeben. Battisti wird nicht ausgeliefert, sondern darf hier bleiben. Als politischer Flüchtling. Zu Hause drohe ihm Gefahr für sein Leben, sagt Minister Tarso Genro über den Asylbewerber, der in Italien für zweifachen Mord und zweifacher Beteiligung an Morden zu lebenslänglicher Haft verurteilt ist. Er habe keine Gelegenheit zu seiner Verteidigung gehabt, sagt Tarso über den 54jährigen, und: Sei Battisti rechter Extremist, wäre seine Entscheidung nicht anders ausgefallen. Von wegen, schimpfen Kritiker. Tarso habe nach dem Gefühl entschieden. Nur weil der ehemals selbst militante Linke mit dem Italiener sympathisiere, habe er Battistis Asylantrag statt gegeben.
Dafür spricht die Tatsache, dass Tarso Genro im Fall Battisti auf das üblicherweise vorgeschriebene Urteil des Obersten Gerichtshofes verzichtete und lieber gleich selbst den Fall regelte – gegen die Analysen sowohl des Nationalen Flüchtlingskomitees als auch der Oberstaatsanwaltschaft. Das diplomatische Verhältnis zwischen Italien und Brasilien hat das empfindlich gestört. Auch andere europäische Stimmen reagierten kritisch: Der britische Economist schreibt sarkastisch, in Rio lasse es sich für europäische Verbrecher offensichtlich gemütlich leben. Schließlich hatte schon der britische Posträuber Ronald Briggs viele Jahre ungestört in Rio gelebt, statt in England seine Strafe abzusitzen.
Battisti erwartete seit 2007 in Haft in Rio das Urteil über seinen Asylantrag. Er leugnet jede Beteiligung an den Morden in den 1970er Jahren. Laut Tarso Genro stützt sich seine Verurteilung auf die Aussage eines einzigen Zeugen – ebenfalls ehemaliges Mitglied der linksextremen Organisation PUC, die der Roten Brigade nahe stand. Vielleicht ist Battisti tatsächlich zu Unrecht verurteilt. Vielleicht ist er sogar tatsächlich in italienischen Gefängnissen lebensgefährdet.
Aber was verleitet den brasilianischen Justizminister zu der Annahme, in Rio sei Battisti sicherer? Dafür fehlt es der hiesigen Polizei womöglich doch noch an Effizienz.
Fotos: www.tribunalatina.com und www.republicca.it
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3 Kommentare:
Neben Ronald Biggs, dem Rio de Janeiro über Jahre hin sehr zugesagt hat, soll auch ein anderer Ronald, der Ex-Richter, Hanseat und Parteigründer Ronald Schill einmal gesagt haben, er fühle sich in Rio de Janeiro sicherer denn in der Hansestadt Hamburg.
Im Ernst, es ist nicht immer ganz klar, was Brasilien von derlei Verfahrensweise mit doch gesuchten oder gar eines Verbrechens bezichtigen Personen verfolgt? Sind es Gutmütigkeit, oder wirkliche eine individuelle Prüfung jeglicher Fälle, deren Verdächtigen großzügig Asyl eingeräumt wird? Wiegen gute Beziehungen, etwa zur italienischen Regierunge denn nicht mehr, als eine Art und Weise, mit nicht ausgelieferten Gesuchten eine Art Trumpf in der Hinterhand zu haben, als Pfand sozusagen, wenn es darum geht, etwaigen eigenen Anliegen etwas Nachdruck verleihen zu können? Oder sieht es tatsächlich so aus, das einzelne Personen, wie etwa Präsident Lula (im Falle der rückgeführten kubanischen Boxer) oder Justizminster soviel Souveränität im Handeln besitzen, woraufhin augenscheinlich nach persönlichem Gutdünken entschieden werden kann?
Obwohl ich selbst Ausländer und weder Boxer noch Terroist bin; So macht man sich eben seine Gedanken. Aber man muß nicht alles verstehen können.
...gleich nach Ende der Justizferien wird sich der Oberste Gerichtshof mit eben dieser Frage beschäftigen: ob ein einzelner Justizminister befugt ist, eine solche Entscheidung zu treffen. Ist er das nicht, muss der Oberste Gerichtshof den Fall selbst neu aufrollen.
http://revistaepoca.globo.com/Revista/Epoca/0,,EMI104760-15223,00-CESARE+BATTISTI+INICIA+GREVE+DE+FOME+DIZ+SENADOR.html
Der Zeitschrift ÉPOCA entnommen, so gibt es zumindest wieder ein wenig Bewegung im Falle des Italieners Cesare Battisti. Darf man der Zeitschrift Glauben schenken, so trat er in einen Hungerstreik, um gegen eine etwaige Auslieferung zu protestieren. Zumindest die Meinung der (veröffentlichten!) Leserbeiträge ist einhellig , dass Brasilien keinen Unterschlupf bieten sollte für Menschen, die verdächtigt wurden, in einem anderen demokratischen Land Straftaten begangen haben und dort einer rechtmäßigen Verhandlung zugeführt werden sollten.
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