Donnerstag, 18. März 2010
Versuch eines Massenmords
Es soll endlich ein Ende nehmen. Ich will keine tierischen Schnüffler und Schnorrer mehr im Haus beherbergen. Schluss mit den ungebetenen Gästen. Gegen Beutelratten und andere Nager habe ich bereits vor Monaten die fiese Futtermischung aus Maisstreuseln und Zementpulver ausgelegt. Keine Ahnung, ob und wie viele sich tatsächlich damit den eigenen Magen zementiert haben. Jedenfalls scheint sich meine Unerbittlichkeit bei den Viechern herumgesprochen zu haben: die Säcke mit Pferdefutter bleiben seitdem unangenagt.
Anders erging es bis vor wenigen Tagen jeglichen Lebensmitteln, die ich in meiner Küche gelagert hatte. Tomaten, Papayas oder Äpfel, die ich zum letzten Nachreifen auf dem Küchentisch liegen ließ, wiesen immer exakt an dem Morgen, an dem sie perfekt gereift und zum Verzehr geeignet waren, hässliche vielleicht daumennagelkleine Knusperstellen auf. Zu klein für Nager. Angemessen für Schmarotzer geringerer Körpergröße. Als ich mir kürzlich nachts ein Glas Wasser aus der Küche holen wollte, wimmelte da der Beweis: Kakerlaken führten einen orgiastischen Tanz auf. Auf dem Fußboden, auf dem Tisch, in der Spüle zwischen den frisch gespülten Gläsern und Tellern.
Ich spüle jetzt jedes Küchenutensil mindestens zweimal gründlich: einmal, wenn ich es nach Gebrauch säubere, um es wegzuräumen. Und ein zweites Mal, wenn ich es aus dem Schrank oder vom Regal nehme, um es zu erneut zu benutzen. Unter den Schrank legte ich eine Art Maispulverimitat aus, das die Viecher töten sollte. Und im Internet recherchierte ich nicht sonderlich ermutigende Informationen: Kakerlaken haben auf dieser Erde bereits eine deutlich längere Geschichte als Menschen. Sie passen durch millimeterkleine Öffnungen, verstecken sich in Rohren und Ritzen, leben gerne in Sickergruben mitten in den menschlichen Exkrementen, können aber notfalls auch wochenlang ohne Wasser und Nahrung auskommen. Sie verpacken ihre (vielen!) Eier in kleinfingernagelkleine schmale Kapseln, die sie überall hinkleben.
Seitdem ich das gelesen habe, finde ich ständig Kakerlakeneierpakete: Im Schrank an ein sauberes Handtuch geklebt. In eine Ritze der Mauer geklebt. Unter einen Teller geklebt. Und letztens sogar in der Packung der papiernen Teefilter an einen solchen geklebt. Kakerlaken haben zwar einen winzigen Kopf, aber trotzdem ein gut funktionierendes Gehirn – das ist irgendwie dezentral untergebracht. Als ich abends auf meiner Terrasse Dutzende von Fühlern entdeckte, die wie Sensoren durch die Luft tentakelten, begann ich mich zum ersten Mal unterlegen zu fühlen.
Vermutlich gehörten diese Fühler Spionen, die für den Rest der Mannschaft heraus fand, was ich als nächstes gegen die Viecher unternehmen wollte –um dem Gift dann eben so sicher auszuweichen, wie sie es offensichtlich mit meinem Maispulver-Imitat handhabten: Das hatte nicht viel mehr ausgerichtet als meine Katze, die täglich zwar zuerlässig rund ein halbes Dutzend Kakerklaken erledigt, aber damit nur unwesentlich zur Verringerung des Bestands beiträgt. Experten raten dazu, in Abständen von mehreren Wochen wiederholt Kammerjäger einzusetzen, um so einer Plage Herr zu werden. Manche Forenbeiträge im Internet vertreten gar die Meinung, ein von Kakerlaken heimgesuchtes Haus würde erst dann kakerlakenfrei, wenn man es komplett abfackelt.
Abfackeln geht nicht, weil das Haus nicht mir gehört. Kammerjäger geht auch nicht, weil die unfehlbar Mittel und Gifte verwenden, die auf der Basis von Pyrethroiden hergestellt sind. Über Pyrethroide, ihre Wirkungen und Nebenwirkungen, sowie über Vereinigungen von Pyrethroid-Geschädigten habe ich vor vielen Jahren als Praktikantin der taz Hamburg einen Text geschrieben. Seitdem weigere ich mich, solche in meinem Wohnumfeld einzusetzen. Meine wochenlange Recherche in Supermärkten, Futterhandlungen und Apotheken ergab: auch alle im Haushalt üblicherweise eingesetzten Insektengifte basieren auf Pyrethroiden. Egal ob Pülverchen, Lockstoffe, Futterimitate, Giftlösungen oder Sprays. Pyrethroide stehen übrigens auf einer Greenpeace-Liste von Mitteln, die möglichst weltweit und möglichst rasch durch weniger gesundheitsschädliche ersetzt werden sollten.
Letzte Woche entdeckte ich ein Kakerlakengel. Doppelt so teuer wie die Pyrethroide, wird es in Spritzen à 10 ml angeboten. Seine Wirkung beruht auf „Sulfamid“. Sulfamid steht nicht auf der schwarzen Liste von Greenpeace. Es steht allerdings auch nicht auf der grünen Liste für die unbedenklichen Mittel. Über die gesundheitsschädigende Wirkung von Sulfamiden ist ganz einfach bislang zu wenig bekannt, um das Mittel zu beurteilen. Ehrlich gesagt befürchte ich, dass um mit einem so hartnäckig agierenden Wesen wie der Kakerlake fertig zu werden, nur absolut brutale Gifte taugen: Immerhin überleben die Viecher aller Voraussicht nach sogar einen Atomkrieg. Ich habe das Sulfamid trotzdem gekauft.
Vorgestern habe ich den Massenmord eingeläutet. Habe die Küche komplett ausgeräumt. Alle Schubladen, alle Regale, alle Schränke, alle Gewürze, alles Geschirr, sämtliches Besteck. Gewaschen, desinfiziert, Regale und Flächen mit Kerosin abgerieben. Alle Geschirrhandtücher mit garantiert höchst umweltschädlichem Chlor ausgewaschen. Alles, was zu deutliche Spuren kakerlakischen Lebens aufwies: weggeworfen. Alle nicht hundertprozentig glatten Flächen mit einem Versiegelungs-Harz gestrichen. Ich war den ganzen Tag beschäftigt, hatte hinterher zwei ehemalige Pferdefuttersäcke mit Müll gefüllt, eine Dose Harz und einen halben Liter Kerosin verbraucht. Bevor ich alles wieder eingeräumt habe, kam das Sulfamid zum Einsatz. Es ist ein bräunliches Gel, das mittels der Spritze in Ritzen in Wänden und Türen gedrückt werden kann, unter den Herd und neben den Kühlschrank. Nachdem ich eine ganze Spritze aufgebraucht hatte, habe ich vorsichtshalber das Haus verlassen: 0.05 Gramm sollten laut Packungsbeilage für einen Quadratmeter reichen, und ich hatte 10 Gramm in meinen maximal sechs Quadratmetern Küche und weitere 5 Gramm im noch kleineren Bad verbraucht.
Gestern habe ich mich wieder nach Hause gewagt. Im Bad lag etwa ein Dutzend Leichen. In der Küche lagen vier. Verdächtig wenig eigentlich. Aber eine wunderbar reife Tomate, die ich auf dem Tisch liegen lassen hatte, war unversehrt. Das lässt eine verführerische Hoffnung in mir wachsen: Angeblich sind Kakerlaken ja Kannibalen und fressen ihre eigenen Toten, inklusive dem Gift, das diese im Leib haben. Vielleicht gelingt mir diesmal doch noch ein richtiger Massenmord.
Foto: gesehen auf http://www.topgyn.com.br/conso00/noticias.php?ultima=1230
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6 Kommentare:
Viel Erfolg! :-)
Wir haben unser Haus nie so ganz frei bekommen, aber uns irgendwie damit arrangiert. Aber Ihre Maßnahmen klingen umfassender als unsere, war ich doch wegen Baby und Katzen komplett gegen Gifteinsätze. Noch eine Idee: Haben Sie Sickerlöcher in der Küche oder im Bad für Wischwasser? Die haben wir mit Alufolie dicht gemacht und hatten danach ein besseres Gefühl.
Schönes Wochenende
"meine Katze, die täglich zwar zuerlässig rund ein halbes Dutzend Kakerklaken erledigt" VERSUS "Im Bad lag etwa ein Dutzend Leichen. In der Küche lagen vier."
Da hat sich also der ganze Aufwand, sprich Massenmord, kaum gelohnt. Die selbe Ausbeute hat Deine Katze ja (fast) auch geschafft!!!
Sollten tatsächlich die Biester wirkungsvoll vernichtet werden, wirst Du wohl kaum auf die Umwelt achten können.
Und zum Stichwort Gesundheit: "Ich habe das Sulfamid trotzdem gekauft." - "Alle Schubladen, alle Regale, alle Schränke... desinfiziert, Regale und Flächen mit Kerosin abgerieben." - "Ich ... hatte ... eine Dose Harz und einen halben Liter Kerosin verbraucht." UND DANN DAS? "Aber eine wunderbar reife Tomate, die ich auf dem Tisch liegen lassen hatte, war unversehrt."
Du hast sie hoffentlich nicht gegessen! Wenn doch, schmeckte sehr nach Reinigungsmitteln?
Um abraço Bruno
PS: Was ist eigentlich aus dem Gambá geworden? Hätte mich mal interessiert, wie er letztendlich verschwunden ist.
@ chrizzo: kinder habe ich nicht, aber eine katze - sie lebt noch...
@ bruno: der gambá ist vermutlich verendet - woran auch immer. jedenfalls fand ich beim großputz hinter dem küchenschrank einen zu seidenpapierartiger konsistenz vertrockneten tierrest, dessen gebiss an einen gambá erinnert...
und die tomate habe ich nach ausgiebigem waschen tatsächlich gegessen ;)
Kakerlaken überstehen unbeschadet einen Atomschlag....höre ich. Und können eine ganze Weile ohne Kopf überleben. Ich kenne allerdings Menschen, die das auch können...
Liebe Christine,
da du geschrieben hast, dass du dich über Kommentare freust muss ich dir jetzt mal unbedingt mitteilen, dass ich deinen Blog als Lesezeichen habe und alle paar Tage draufklicke in der Hoffnung, dass du etwas Neues geschrieben hast.
Viele liebe Grüße, Anna
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