Mittwoch, 31. März 2010
Gnade den Geduldigen
Letztens war ich zum ersten Mal in einer Kirche der evangelikalen Pfingstgemeinden, die hier noch im winzigsten Dorf ihre Tempel aufstellen und vor allem unter den Ärmsten ihre Schäfchen finden. Der Mensch liebt es, an etwas zu glauben. An einen Sinn im Leben, eine Hoffnung auf Verbesserungen, an eine höhere Macht, die ihm wohl gesonnen ist. Viele Brasilianer glauben an den Präsidenten Lula. Weil er mit seiner Assistenzialismus-Politik viele von ihnen direkt mit guten Gaben beschenkt und den anderen zumindest Versprechungen macht. Außerdem glauben viele daran, dass Jesus Christus wieder kommen wird, und dass schon jetzt der Heilige Geist ihr Leben in die Hand nehmen und verbessern kann. Das sind die Pfingstler, und sie werden immer mehr.
Ich muss nicht mal das Haus verlassen, um ihre Gespräche mit Gott in der Kirche in der übernächsten Gasse zu hören: wenn sich gegen Ende des Gottesdienstes das Lobpreisen und Klagen zum Crescendo steigert, wird es so ohrenbetäubend, dass ich es nur mit Mühe durch Musik übertönen kann. Das hat mich irgendwann neugierig gemacht: Was treibt diese immer adrett gekleideten Menschen, die bei 40 Grad im Schatten nach langen, schlecht bezahlten Arbeitstagen lange Fußmärsche in Kauf nehmen, um sich in diesen Tempeln die Seele aus dem Leib zu brüllen? Eine Bekannte, die ich danach fragte, erklärte mir: „Ach, es ist einfach schön, so Halleluja zu brüllen.“ Da Cilene immer gerne laut ist, auch wenn sie singt oder redet, war das keine sonderlich erleuchtende Antwort.
Deswegen bin ich letztens im Nachbardorf in einen Gottesdienst der Assembléia de Deus gegangen. In die Assembléia, weil das die Pfingst-Kirche ist, die in Brasilien am schnellsten wächst. Und im Nachbardorf, damit nicht etwa missionarisch ambitionierte Brüder und Schwestern anschließend mein Haus aufsuchen, um mich zu weiteren Besuchen einzuladen. Üblicherweise sind die Gotteshäuser der Armen so schick, dass ich mich schon oft gefragt habe, ob die Gläubigen der neuen Kirchen etwa noch mehr als den obligatorischen Zehnten von ihrem schmalen Einkommen abzweigen, um all dies Pracht zu finanzieren. Der Tempel, zu dem mich die Cousine einer Freundin führte, war erstaunlicherweise ein schlichter Bau aus Holz, ordentlich in Weiß und Blau gestrichen, mit zeitlosen blau-weißen Plastikblumen geschmückt.
An diesem Abend ist der gesamte Gottesdienst eine Art Bezahlung für die Gnade, die Gott einem seiner Schäfchen erwiesen hat. Evanildo Santos hat mit Seiner Hilfe sein Lebensziel erreicht und einen Job als Busfahrer ergattert. Das erzählt er strahlend seinen Glaubensgenossen, worauf diese zustimmend „Gloria Deus“ und „Gepriesen sei Gottes Name“ brüllen. Dann hebt der Pastor an, laut und sehr falsch zu singen, was die Gemeinde zu weiteren „Gloria Deus“ veranlasst: wichtig ist offensichtlich nur die Leidenschaft, mit der gesungen, gebetet und gepriesen wird. Ob dabei einer jeweils scharf an den richtigen Tönen vorbei singt oder in jeden preisenden Satz mehrere Grammatikfehler baut, ist Nebensache.
Die Evangelikalen scheinen sich als ein auserwähltes Volk zu fühlen. Die Anderen bezeichnet der Priester abfällig als „Indianer“ – vermutlich in der kolonialen Tradition, Indianer als dumm und gottlos zu betrachten. Diese „Indianer“ feiern nämlich Erfolge mit vielen, vielen Kisten Bier, wie der Pastor mitteilt. Während die Gläubigen (und das klingt so, als seien nur die Evangelikalen Gläubige, nicht etwa Angehörige anderer Glaubensrichtungen) ihre Erfolge mit Lobpreisungen feiern. Solch wohlfeiles Verhalten wird von Gott belohnt: „Niederlagen gehören nicht zum Leben eines Gläubigen“ versichert der Priester.
Das gefällt natürlich allen und es hebt ein heftiges „Halleluja“ an. Ohne Geschrei geht es ja nicht bei den Pfingstlern. Als ich die Cousine meiner Bekannten frage, warum der Pastor in sein Mikro schreien muss und warum überhaupt alle nur mit höchst erhobenen Stimmen jubilieren, zitiert sie Jesaja, bei dem es heißt: „Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune!“. Wie eine verstimmt Posaune in diesem Fall, aber so kleinlich bin natürlich nur ich. Später darf der Begnadete noch einmal genauer berichten, wie lange er auf die Gnade gewartet hat und durch wie viele dunkle Täler er schreiten musste, immer im Vertrauen auf das Wunderwerk, das da irgendwo in der Zukunft seiner harren musste.
So stellen sich die Evangelikalen erfolgreich als bessere Alternative zu den Katholiken dar: Bei ihnen muss der Gläubige nicht aufs Paradies warten. Nur auf die Gnade. Und die kommt noch in diesem Leben. So einer genügend daran glaubt. Und um den steinigen Weg bis zur Gnade besser auszuhalten, gibt es ja jeden Tag lautstarke Gottesdienste. Die klingen wie eine kirchliche Urschrei-Therapie und scheinen auch so ähnlich zu wirken. „Nach dem Lonpreisen“, sagt die Cousine begeistert, „habe ich jedes Mal alle meine Sorgen vergessen.“
foto: wollowski
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