Freitag, 17. Juli 2009

Der Umzug der Killbills

Eine Fischerhütte im Tropenwinter zwei Monate allein zu lassen, hat Folgen. Mit diesen Folgen bin ich seit drei Tagen beschäftigt - Hausputz wäre eine unvollkommene Bezeichnung. Angefangen hat es tatsächlich wie ein solcher: Spinnweben von den Wänden und den Dachziegeln kehren, Blätter und Federn auf dem Boden zusammenfegen, seltsame Feuchtflecken vom Boden wegschrubben (mäßig erfolgreich), Wäsche aus den Schränken auf große Waschstapel räumen, weil sie allesamt muffig riecht, als habe sie die letzten Monate in einem Kellerverlies verbracht, grauschimmelig angelaufene Holzmöbel abwischen und einölen und so fort.

„Und-so-Fort“ heißt unter anderem, neue Hausbewohner hinauswerfen. In meinen Brennholz-Vorrat haben sich so zahlreiche Termiten hinein gefressen, dass ich ihn lieber gleich weg werfe. Spinnen haben ihre Netze in allen Ecken gewoben, Kakerlaken ihre Nachkommen unter den Möbeln verteilt und Horden Mäuse oder Ratten sich inmitten der Säcke Pferdefutter sicher wie im Paradies gefühlt. Den Futterhaufen, den die Ratten in der Sattelkammer aufgehäuft haben, nutzen sie seltsamerweise nicht mehr. Als ich ihn auflesen will, merke ich warum: Millionen winziger schwarzer Ameisen wuseln darin, die ihren Wohn- und Futter-Haufen unter Einsatz von reichlich Giftstoffen verteidigen. Soweit der erste Tag.

Am zweiten Tag finde ich die Killbills. Rosa und nackt und vielleicht zwei Zentimeter lang liegen eine ganze Handvoll vermutlich nur wenige Tage alter Säuglinge warm und gemütlich zwischen meinen T-Shirts und Tops. Wenn die Katzen noch da wären, hätten sie ihre Entdeckung sicher nicht überlebt. Aber die Katzen kennen mich nicht mehr: sie sind zur Nachbarin umgezogen, weil die ihnen schließlich zwei Monate lang Futter gegeben hat. Und ich sehe mich nicht in der Lage, zwei Zentimeter lange Lebewesen zu töten. Also polstere ich eine Schuhschachtel mit einem alten Tuch und mehreren T-Shirts, schneide aus dem Deckel einen Eingang heraus und bette die Viecher um. Dabei fiepsen sie zart. Eigentlich sehen sie sehr nett aus, mit ihren kleinen Händen und Füßen, an denen richtige Finger zu erkennen sind. Aber was sind das für Tiere?

Mein Nachbar konstatiert nach einem fachmännischen Blick in die Schachtel: „Das sind Marsupiais“. Und zeigt mir gleich ein Foto seines ehemaligen Marsupial-Mitbewohners „Killbill“. Der sei so zutraulich gewesen, dass er sich zum gemeinsamen Fernsehen mit seinen Händen bei ihm festgehalten habe. Bis ihn vermutlich eine Katze erwischt hat. Das hier ist Killbill:


Marsupiais sind laut Internet Beuteltiere. Davon gibt es unzählige Sorten vom Känguru bis zu so etwas Ähnlichem wie einer Beutelspitzmaus. Gemein ist ihnen, dass die Kleinen immer bei der Mutter bleiben, notfalls an deren Zitzen festgebissen, wenn nicht alle in den Beutel passen. Wo ist also die Mutter von meinen Killbills? Geflohen, weil ich angekommen bin? Ermordet? Mein Nachbar sagt, seine Nachbarin habe die Mutter seines Killbills erschlagen.

Bald ahne ich, warum. Als ich in einer Schublade allerlei kurze Schnurstückchen finde, wundere ich mich noch. Ich erinnere mich nicht daran, solche Schnur besessen zu haben. Eine Fach weiter unten merke ich: Die Schnurstückchen sind, was von der Aufhängung meiner Hängematte übrig geblieben ist. Außerdem hat die Mama der Kleinen meine All-Stars in Fetzen geknabbert, hübsch großflächig verteilte Löcher und Haken in meine Capoeira-Hose, meine Kookai-Bluse und diverse andere Lieblings-Kleidungsstücke genagt. Marsupiais sind Allesfresser, hatte in dem Internet-Artikel gestanden. Stimmt, aber mit exquisitem Geschmack.

Nachts werde ich von einem Geräusch wach. Oben auf dem Dachbalken huscht ein Wesen entlang. Noch eins. Und noch eins. Ich gucke genauer hin. Es sind Ratten. Vermutlich auf dem Weg zum neuen Pferdefutter, das gestern angekommen ist. Wo bleibt das herzlose Weibsstück? Ob die Killbill-Mutter ihre Brut in ihrer Schachtel verhungern lässt? Im Morgengrauen werde ich wieder wach, diesmal von einem innigen Glucksen und Zirpen, Kollern und Schnalzen. Es kommt aus meinem Schrank. Aus der Schublade, in der vorgestern noch die Killbills ruhten. Ihre Mama ist da. Immer verzweifelter klingt ihr Gefiepe. Die Babys melden sich nicht. Müssen sie aber, sonst haut die Mama ab und kommt nie mehr wieder. Entschlossen stehe ich auf, gehe zur Babyschachtel und wedele ein bisschen mit dem Tuch darin herum, bis die Viecher endlich Laut geben. Als sie eine Weile gequiekt haben, decke ich sie wieder zu und überlasse den Rest der Mama: Marsupiais sollen sehr gute Ohren haben.

Heute kam mein Nachbar neugierig fragen, ob meine kleinen Killbills noch lebten. Als ich die Schachtel vom Schrank holen wollte, um nachzushen, war sie plötzlich ziemlich schwer geworden. Schnell stellte ich sie wieder zurück. Offensichtlich hat jetzt alles seine Ordnung, und die Killbills hängen da wo sie hingehören: an Mutters Zitzen. Wann sie wohl aus der Kiste kommen? Und ob sie sich dann alle neun mit ihren kleinen Händen zum Fernsehen an mir festhalten werden?

1 Kommentar:

David hat gesagt…

Hallo Christine,

schön, dass es mit dem Blog weitergeht.

Und ich selbst will kein Blatt vor den Mund nehmen, und bekenne, das meine eigene Tierliebe nicht grenzenlos ist: Pferde, Katzen, Hunde, auch Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine.

Allerdings stößt diese Zuneigung bei Ratten und Mäusen an ihre Grenzen. Natürlich muss man diese Geschöpfe auch als Solche akzeptieren. Aber dadurch, dass sie sich schnell und überall breit machen, neben dem Beanspruchen Wohnraum auch sich auch an Vorräten zu schaffen machen, und allerlei Dinge anknabbern und verschmutzen, endet hier die Toleranz.

Auf dass weitere Verbiss-Schäden erspart bleiben und Deine erneute Präsenz diejenige der Schadnager zumindest erschweren möge.

 
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