Dienstag, 10. März 2009

Hundert Jahre Hybris


Hundert Jahre sind viel Zeit. Damals hat er es schon schwer gehabt, andere mit seinem Beispiel anzustecken. Und heute? Hier in Brasilien erscheinen zwar überall lange Lob-Artikel auf den rebellischen einstigen Erzbischof von Recife und Olinda, Dom Helder Camara, aber anscheinend sind mehr Journalisten als heutige Kirchenvertreter von dem Mann beeindruckt, der sein Dienstauto verkaufte und Bus fuhr, um dem Volk näher zu sein, der gegen Pomp und für Bescheidenheit plädierte und eine Kirche für die einfachen Leute wollte, statt einer für die Damen der besseren Gesellschaft. Von Dom Helder wäre so ein Diskurs nicht zu erwarten gewesen, wie ihn sein Nachfolger Dom José Cardoso Sobrinho, aktueller Erzbischof von Recife und Olinda letzte Woche von sich gegeben hat.

Der Hintergrund ist grausam: Bei einem neunjährigen Mädchen, das erst vor wenigen Monaten seine erste Menstruation erlebt hatte, wurde eine Schwangerschaft festgestellt. Von Zwillingen. Das Mädchen erzählte daraufhin, wie sie seit ihrem sechsten Lebensahr von ihrem Stiefvater vergewaltigt wurde. Der Stiefvater ist der Vater der Zwillinge. Selbst nach der ersten Menstruation ist eine Neunjährige ein Kind. Weder psychisch, noch physisch auf eine Schwangerschaft vorbereitet. Zur besseren Vorstellung: Das Mädchen ist ein Meter 33 groß und wiegt 36 Kilo. Selbst das erzkatholisch inspirierte brasilianische Recht erlaubt Abtreibung in einigen Sonderfällen, zum Beispiel,wenn Gefahr für Leib und Leben der Mutter besteht.

Dem Erzbischof ist das egal. Er suchte schon vor Wochen Kontakt zur Mutter des Mädchens, um ihr ins Gewissen zu reden, dass die Zwillinge ausgetragen werden müssten, um "Leben zu retten". Die Mutter weigerte sich, mit dem alten Kirchenmann zu sprechen. In aller Stille wurde die Schwangerschaft des vergewaltigten Kindes beendet, bevor es noch mehr Schaden nehmen konnte. Und der Erzbischof? Der sagte, mit vom Alter etwas zittriger Stimme, aber fest in seiner Überzeugung: Er werde sowohl die Ärzte, als auch die Mutter des Mädchens exkommunizieren. Denn Abtreibung sei eine Todsünde.

Das war auch Präsident Lula zu heftig. „Es ist doch unmöglich, dass ein vom Stiefvater missbrauchtes Mädchen das Kind behält, wenn es in Lebensgefahr schwebt. Ich denke, aus diesem Grund hat die Medizin korrekter gehandelt als die Kirche. Die Ärzte haben das getan, was getan werden musste: das Leben eines neunjährigen Mädchens retten“, sagte der Präsident letzte Woche zu TV-Journalisten. Das Mädchen werde vermutlich ohnehin Jahrzehnte in psychologischer Behandlung brauchen, um ein halbwegs normales Leben führen zu können.

Der Nachfolger von Dom Helder sieht das anders. Natürlich sei auch die Vergewaltigung ein Verbrechen. Aber Abtreibung ist schlimmer. Genau so hat der Biachof das gesagt. Im Klartext heißt das: Der Mann, der ein sechsjähriges Kind vergewaltigt, darf in der Kirche bleiben. Die Mutter, die das Leben ihrer misshandelten Tochter schützen will, wird ausgestoßen.

Vielleicht sollten die noch ausstehenden Gedenkfeierlichkeiten zu Dom Helder umbenannt werden: Nicht hundert Jahre liberales Denken in der katholischen Kirche gibt es zu begehen, sondern hundert Jahre Hybris.

Foto: Dom Cardoso Sobrinho / NN

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Zitat: "Er werde sowohl die Ärzte, als auch die Mutter des Mädchens exkommunizieren."
Kleine Info: in die Katholische Kirche erfolgt die Excommunizierung automatisch nach der Abtreibung. Da musste der Bischoff gar nichts machen. Der hättet immer noch die Klappe zu halten sollen.

Anonym hat gesagt…

Ja so ist sie, die machtgeile Nomenklatura des katholischen Kirchenapparates. Christliche Nächstenliebe auf den Lippen und in der Realität geht es um die Zerstörung aller Abweichler vom rechten Glauben. Gerade in Brasilien, wo viele Kinder kaum eine Chance für ein menschenwürdiges Leben haben. Es ist seltsam still in Kirchenkreisen, wenn wieder einmal einige Jugendliche von Todeskommandos zusammenkartätscht werden.

Anonym hat gesagt…

und was geschieht mit all den vielen, vielen Pädophilen in der katholischen kirche?
werden die auch exkommuniziert???
es reicht nicht dass die kirche und jedes! einzelne Mitglied mit ihrem dümmsten verhalten bzgl kondomen in afrika zu massenmördern wird. nein, auch eine vergewaltigete darf nicht abtreiben.....überhaupt:abtreibung.
man muss endlich die kirchen und die religion abschaffen, dann ist die welt eine bessere !!!

herzliche grüße Joao Mendez

Anonym hat gesagt…

Von dem Schicksal und den aktuellen Geschehnissen des 9jährigen Mädchens war auch in deutschen Zeitungen zu lesen. Ebenso von der kontroversen Haltung der Repräsentanten der kath. Kirche. Hier muss man zweifelsohne FÜR das Mädchen entscheiden.

Es ist wahrhafter "Hammer", wie es angeht, dass die Pädophilie Stiefvater des Mädchens über einen so langen Zeitraum, offenbar unbehelligt, gewähren konnte.
Wenn der Aussage der 9jähigen zu entnehmen war, dass sie seit dem sechsten Lebensjahr misshandelt wurde. Die Rolle des Umfeldes, wird so etwas nicht wahrgenommen, oder weggesehen, gar bagatellisiert? Neudeutsch „krass“ oder „heavy“, so ist es unfassbar, wie sich so etwas immer wieder und überall zutragen kann, ohne das ein Umfeld davon Kenntnis erhält und etwas dagegen unternimmt.

Der weitere „Hammer“, der besagte Erzbischof von Recife und Olinda:
Was auch immer diesen Mann seine Haltung gab, und auch den Willen, so scheinbar unbeirrt daran festhalten zu können. Das widerspiegelt die zunehmende Meinung vieler, dass es nicht unbedingt praxistauglich ist, wenn vornehmlich alte Männer sind, die gerade über solche Fragen befinden. Was die Aussage vom „Leben retten“ attestiert. Im Zusammenhang davon, dass ein Kind ungewollte Kinder austragen solle??? Wie wenig sich der Kirchenvertreter sich in die Lage des Mädchens versetzen wollte, wie viel mehr ihm daran lag, fragwürdige Regularien wahren zu wollen… Was würde ein Gott wohl zu solchem Urteil sagen? Der Mensch soll doch im Mittelpunkt stehen.


Obwohl selbst weder Katholik, noch Kirchenmensch: Ich denke, sicher sind nicht „Alle“ und „Alles“, Menschen und Aspekte der röm.-kath. Kirche schlecht. Viele Menschen wirken, als Dienst am Menschen, dort wo andere nicht helfen; Ohne dabei groß im Scheinwerferlicht zu stehen. Das findet oft nicht so viel Erwähnung. Ordensgründer Benedikt sagte einst in seinen selbstverfassten Leitsätzen, sich mehr durch gutes Tun denn durch bloßes Reden zu beweisen. Etwas, was auch viele Politikern und anderen im Focus stehenden Menschen als Empfehlung dienen kann. Selber will ich die Kirche als Gesamtorganisation auch nicht grundsätzlich schlecht reden. Es sollte bei jeglichem Handeln versucht werden, zu verifizieren, was auch den Kirchenvertreter zu tun versuchen sollten.

 
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