Dienstag, 16. Dezember 2008

Schöne Grüße ins Herrenhaus


Hier auf dem Dorf ist manches noch wie in alten Zeiten. Grund und Boden etwa gehören den Großgrundbesitzern. Das ist eine einzige Familie, die mehr als hundert Hektar Kokoshaine, Mangowälder, Cashewpflanzungen und Wiesen ihr Eigen nennt. Der Familienbesitz umfasst mehr als die Hälfte des Dorfes, reicht auf der einen Seite bis fast ans Meer, auf der anderen bis an die Mangrovensümpfe am Flussufer und an der dritten bis weit in den Naturpark hinein.

So groß ist das Ganze, dass die Besitzer nicht immer den Überblick behalten und es schon einigen frechen Invasoren gelungen ist, heimlich Lehmhütten und sogar richtige Häuser aus Ziegelsteinen auf dem fremden Land zu errichten. Wenn solche Häuser erst mal eine ordentliche Weile stehen, können die Bewohner nur noch gegen Zahlung einer Entschädigung vertrieben werden. Auf der Naturpark-Seite, wo die Rechtslage ohnehin ungeklärt ist, lohnt sich das womöglich gar nicht.

Der alte Patriarch machte das früher anders: Er erlaubte seinen Arbeitern, ihre bescheidenen Behausungen auf einem ihnen zugewiesenen, möglichst wertlosen Stück Land zu errichten, dokumentierte die Rechtslage: das Haus gehörte den Arbeitern, das Land dem Patrao, und erhob jährlich eine Nutzungsgebühr. Regelungen aus längst vergangenen Zeiten.

Kürzlich lud mich meine Nachbarin Dona Bella für ein Schwätzchen auf ihre Terrasse ein. Wir wohnen oben auf dem Hügel, wo der Boden sich nicht sonderlich zum Pflanzen eignet, aber immer ein frischer Wind vom Meer weht und der Blick weit reicht. Dona Bella, eine drahtige Person von vielleicht siebzig Jahren, hat in ihr Haus reichlich investiert, damit es dem Prototyp des guten Geschmack nach Auffassung der Dorfbewohner entspricht: Terrasse und sämtliche Fenster sind mit kostspieligen Eisengittern versehen, die Fussböden sind weiß gekachelt, die Straßenfront ist sauber verputzt und weiß gekalkt. Auf den anderen Seiten zeigen sich rohe Ziegelwände, weil Besucher die im allgemeinen ja nicht zu sehen bekommen. Von der Terrasse aus hatte Dona Bella früher einen Ausblick übers ganze Land. Seit ein paar Wochen sieht sie statt dessen auf den Blechunterstand für das Auto ihres jüngsten Sohns. Das stört sie nicht: Ist auch ein Zeichen des noch frischen Wohlstands, den ihre insgesamt neun Kinder erwirtschaftet haben.

Früher war das anders. Da stand hier ein windschiefes Lehmhaus neben dem anderen. Im Winter regnete es manchmal dermaßen durch die Palmwedeldächer, dass mehrere Nachbarinnen im dichtesten Haus zusammen krochen. So erzählt Dona Bella. Sie sei mit so wunderbaren Nachbarinnen beschenkt, sagt sie, „wie Schwestern, die ich nicht gehabt habe“. Früher habe sie unten im fruchtbaren Land auch Pflanzungen gehabt, als der Patriarch noch lebte. Maniok und Tomaten, ein bisschen Zuckerrohr und Süßkartoffeln, hauptsächlich für den Eigenbedarf. Die Nachkommen des Alten wollten das dann nicht mehr. Aber das seien auch so feine Leute. Haben gar nichts gesagt, obwohl sie dieses Jahr ihre Nutzungsgebühr noch nicht bezahlt habe, weil sie doch so viele Krankenhauskosten hatte.

Nutzungsgebühr? Aber ja, die gibt es immer noch. Seit einem halben Jahrhundert zahlt Dona Bella und hat insgesamt längst mehr entrichtet, als ihre Parzelle ohne Grundbucheintrag überhaupt wert ist. Aber so denkt Dona Bella nicht. Sie sorgt sich, weil sie nach ihrer Herzoperation noch nicht wieder sicher genug auf den Beinen ist, um der Großgrundbesitzerin einen Besuch abzustatten. „Wenn du Dona Darcy mal siehst, richte ihr doch bitte meine Grüße aus und erkläre ihr, dass ich sie besuche, sobald ich kann“, bittet mich Dona Bella. Ein Gruß wie aus der Sklavenhütte ins Herrenhaus.

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