Am Freitag vor Karneval ist die Ministerin Matilde Ribeiro zurückgetreten. Wenn auch unter Protest. Weil ja die Vorwürfe angeblich nur Ausdruck von Rassismus waren. Und mit Rassismus kennt sich Matilde aus. Zur Erinnerung: Die Ministerin für die Förderung der Gleichberechtigung der Rassen hatte bereits vor einigen Monaten eine gewisse Berühmtheit erlang, als sie äußerte, es sei eine „ganz normale Reaktion“, wenn Schwarze nicht mit Weißen zusammen leben wollten: „Wer ein Leben lang gegeißelt wurde, ist nicht verpflichtet, den Geißelnden zu mögen“, sagte sie damals wörtlich. Offensichtlich hieß Gleichberechtigung bei ihr zu der Zeit: Her mit dem schwarzen Rassismus!
Eine neue Definition von Gleichberechtigung stand hinter ihrem beleidigten Abtritt kurz vor Karneval. Diesmal forderte die Ministerin – wenn sie das auch nicht so offen aussprach wie die Aufforderung zum Rassismus im letzten Herbst - für sich gleichberechtigtes Prassen im Amt. Es ist ja bekannt, dass Politiker auch hierzulande gelegentlich finanzielle Vorteile aus ihrem Amt ziehen. Umso erstaunlicher eigentlich, dass die Regierung Lula im Jahr 2005 das „Portal der Transparenz“ online stellte (http://www.portaltransparencia.gov.br/), eine Website, auf der sogar Lieschen da Silva nachgucken kann, welcher Minister seine Amts-Kreditkarte (die vor allem zur Begleichung von Reisekosten gedacht ist) für was eingesetzt hat. Ein Hoch auf die Ehrlichkeit der Kreditkarten-Inhaber sollte das werden – nun ja, das hat nicht so richtig geklappt.
Tatsächlich kamen die vielfältigsten Ausgaben auf die PC-Bildschirme. Die Bodyguards des Präsidenten etwa kauften sich ordentlich Gewichte zum Stemmen, ein Minister bezahlte in einer Imbissbude eine Portion Maniokküchlein „Tapioca“ im Wert von etwa 3,50 Euro, Matilde selbst beglich unter anderem eine Kneipenrechnung in der Höhe von 42 Euro und so fort. Matilde meint nun, sie sei vor allem deswegen angegriffen worden, weil sie schwarz sei. Tatsache ist, dass sie von allen Ministern am meisten ausgegeben hat; beinahe 70.000 Euro im vergangenen Jahr – deutlich mehr als etwa der Präsident verdient. Vielleicht versteht sie diesmal unter Gleichberechtigung: Diejenigen, die ein Leben lang gegeißelt worden sind, müssen jetzt besonders viel ausgeben?
Solche simplen Umkehrschlüsse sind riskant. Auch wenn es womöglich wirklich weniger Aufruhr gegeben hätte, wenn eine weiße Ministerin Spitzenreiterin geworden wäre, gibt das der schwarzen Kollegin nicht mehr Abzock-Rechte. Was sämtliche Kollegen sich nun tatsächlich zu schulden kommen lassen haben, soll jetzt eine parlamentarische Kommission untersuchen. Kann noch spannend werden, denn die Lulisten haben sich darauf nur eingelassen, wenn auch die Zeit des ungeliebten Vorgängers mit untersucht wird. Gleichberechtigung mal wieder!
Die große Transparenz ist dadurch leider schon wieder umstritten; es ist die Rede davon, das Portal der Transparenz wieder abzuschalten oder wenigstens besonders prominente Namen daraus zu entfernen. Das wäre wirklich schade. Denn neben den interessanten ministerialen Konsummöglichkeiten (einer hat mal eben mehrere Tausend Euro für die Miete eines Konferenzsaals bezahlt, in den er die Presse lud, um seinen Ruf zu verteidigen) erfährt man darauf ganz nebenbei, was es alles für Minister gibt. Direkt nach Matilde auf Platz zwei im Geldausgeben liegt etwa der Minister für Fischerei. Jawohl, Minister für Fischerei. Außerdem gibt es: ein Ministerium für nationale Integration, eines für Kommunikation, für die Bekämpfung des Hungers, für Städte und eines für langfristige Aktionen. Womöglich ist das auch ein Akt der Gleichberechtigung? Jeder darf Minister sein?
Samstag, 9. Februar 2008
Sonntag, 3. Februar 2008
Verführerische Piraten
Letztens hat mich ein Freund zum Filmegucken eingeladen. So eine Einladung ist hier besonders erfreulich, weil mich stundenlange Busfahrten vom nächsten Kino trennen und ich sämtliche Nicht-Action-DVDs der Dorf-Videothek schon lange kenne. Entsprechend freudig traf ich zur verabredeten Stunde bei Almir ein. Almir kramte stolz in seinem DVD-Regal und zeigte mir, was er für den Abend vorgesehen hatte: „Mein Name ist nicht Johnny“, einen Film nach einer wahren Geschichte über einen Mittelklasse-Sprössling aus Rio, der erst zu einem der größten Drogenhändler wird, in der Knast-Psychiatrie doch noch die Kurve kriegt und heute Musikproduzent ist. Der Film wird in allen Kritiken hochgelobt und ich wollte ihn unbedingt sehen. Nur: Er läuft erst seit wenigen Wochen im Kino und ist noch nicht auf DVD herausgekommen. Woher kam also Almirs Kopie? Almir grinste verlegen. Er habe der Versuchung nicht widerstehen können. Die DVD sei eine Raubkopie (auf Brasilianisch: DVD pirata). Was bliebe ihm denn übrig, wo er doch hier am Ende der Welt in der kulturellen Wüste lebe.
Wie gesagt, ich wollte den Film unbedingt sehen. Wer weiß, ob er nach Karneval noch im Kino läuft. Moral hin, Moral her. Ich schwieg zu dem Thema, wir legten uns ein paar Schokokugeln bereit, gossen uns frischen Graviolasaft ein, und Almir schob die Raub-DVD in den Player.
Auf dem Bildschirm erschien ein zittriges Bild mit seltsamen dunklen Rändern. War das ein Stilmittel? Sollte das Ganze wie ein Amateur-Doku-Drama gefilmt sein? Die Kritiker hatten nichts dergleichen erwähnt. Und was war mit dem Ton los? Waren Almirs Lautsprecher kaputt? Nachdem mein Gastgeber an einigen Kabeln gezupft hatte, schloss er einen Wackelkontakt definitiv aus. Trotzdem blieb der Ton grauenhaft übersteuert, unmöglich, zu verstehen, was gesprochen wurde. Wir konzentrierten uns also um so mehr auf das unscharfe Bild, um den fehlenden Dialog durch die visuellen Informationen zu kompensieren. Dann kippte das Bild plötzlich weg, wurde der ganze Bildschirm schwarz.
Ich hatte mich ja schon vorher leise gefragt, woher diese verdammt frühe Raubkopie herkam, wovon sie kopiert war, wenn es doch noch keine offizielle DVD gab. Jetzt wurde mir alles klar. Der Raubkopierer hatte sich einfach mit seiner Handkamera ins Kino gesetzt und den Film von der Leinwand abgefilmt. Und schwarz war der Bildschirm, weil ihm die Kamera verrutscht war. Vielleicht hatte ihn seine Freundin geküßt. Oder er hatte in die Popcorntüte gegriffen. Auch als das Bild wieder auf die Beine kam, blieb es unscharf, wie verwackelt. Irgendwann versuchte der Hobby-Filmer, wenigstens den schwarzen Rahmen auszuschalten, indem er näher an die Leinwand heranzoomte. Das Ergebnis war so grotesk, dass wir irgendwann nur noch lachen konnten.
Almir schnaufte noch, als er mir erzählte: „Und der Typ, der mir den Film verkauft hat, war sich sicher, einen Stammkunden in mir gewonnen zu haben: Ich bin immer am gleichen Platz, hat er gesagt“. Das war dumm von ihm, denn man kann sogar Raubkopien umtauschen, und genau das hat Almir jetzt vor.
Natürlich ist DVD-Piraterie auch in Brasilien illegal. Gleichzeitig ist dieser illegale Markt eine der größten Wachstumsbranchen des Landes: 2005 wurden zwei Millionen raubkopierte DVDs und CDs beschlagnahmt, 2006 waren es beinahe 7 Millionen, und 2007 sollen es über acht Millionen Stück gewesen sein. Den Kassenschlager des vergangenen Jahres, „Elitetruppe“, der demnächst auf der Berlinale läuft, hatten schon drei Millionen gesehen, bevor er überhaupt in die Kinos kam. Trotzdem brach er in wenigen Monaten sämtliche Eintrittsrekorde. Vielleicht sogar deswegen: Mehr Werbung hatte ein Film selten vor dem offiziellen Start.
An dem Abend bei Almir haben wir dann einen anderen brasilianischen Film gesehen. Im Vorspann lief eine Anti-Piraterie-Kampagne: Vater kommt abends nach Hause und schwenkt stolz eine DVD. „Sohn, guck mal, was ich hier habe – toll, was? Eine brandneue Raubkopie“, sagt er. Darauf der Sohn: “Papa, guck mal meine Mathearbeit, ich hab ne Eins - toll, was? Hab ich alles abgeschrieben!“
Ich fand die Kampagne gar nicht schlecht. Dann hat mir Almir gestanden: auch diese DVD war eine Raubkopie.
Wie gesagt, ich wollte den Film unbedingt sehen. Wer weiß, ob er nach Karneval noch im Kino läuft. Moral hin, Moral her. Ich schwieg zu dem Thema, wir legten uns ein paar Schokokugeln bereit, gossen uns frischen Graviolasaft ein, und Almir schob die Raub-DVD in den Player.
Auf dem Bildschirm erschien ein zittriges Bild mit seltsamen dunklen Rändern. War das ein Stilmittel? Sollte das Ganze wie ein Amateur-Doku-Drama gefilmt sein? Die Kritiker hatten nichts dergleichen erwähnt. Und was war mit dem Ton los? Waren Almirs Lautsprecher kaputt? Nachdem mein Gastgeber an einigen Kabeln gezupft hatte, schloss er einen Wackelkontakt definitiv aus. Trotzdem blieb der Ton grauenhaft übersteuert, unmöglich, zu verstehen, was gesprochen wurde. Wir konzentrierten uns also um so mehr auf das unscharfe Bild, um den fehlenden Dialog durch die visuellen Informationen zu kompensieren. Dann kippte das Bild plötzlich weg, wurde der ganze Bildschirm schwarz.
Ich hatte mich ja schon vorher leise gefragt, woher diese verdammt frühe Raubkopie herkam, wovon sie kopiert war, wenn es doch noch keine offizielle DVD gab. Jetzt wurde mir alles klar. Der Raubkopierer hatte sich einfach mit seiner Handkamera ins Kino gesetzt und den Film von der Leinwand abgefilmt. Und schwarz war der Bildschirm, weil ihm die Kamera verrutscht war. Vielleicht hatte ihn seine Freundin geküßt. Oder er hatte in die Popcorntüte gegriffen. Auch als das Bild wieder auf die Beine kam, blieb es unscharf, wie verwackelt. Irgendwann versuchte der Hobby-Filmer, wenigstens den schwarzen Rahmen auszuschalten, indem er näher an die Leinwand heranzoomte. Das Ergebnis war so grotesk, dass wir irgendwann nur noch lachen konnten.
Almir schnaufte noch, als er mir erzählte: „Und der Typ, der mir den Film verkauft hat, war sich sicher, einen Stammkunden in mir gewonnen zu haben: Ich bin immer am gleichen Platz, hat er gesagt“. Das war dumm von ihm, denn man kann sogar Raubkopien umtauschen, und genau das hat Almir jetzt vor.
Natürlich ist DVD-Piraterie auch in Brasilien illegal. Gleichzeitig ist dieser illegale Markt eine der größten Wachstumsbranchen des Landes: 2005 wurden zwei Millionen raubkopierte DVDs und CDs beschlagnahmt, 2006 waren es beinahe 7 Millionen, und 2007 sollen es über acht Millionen Stück gewesen sein. Den Kassenschlager des vergangenen Jahres, „Elitetruppe“, der demnächst auf der Berlinale läuft, hatten schon drei Millionen gesehen, bevor er überhaupt in die Kinos kam. Trotzdem brach er in wenigen Monaten sämtliche Eintrittsrekorde. Vielleicht sogar deswegen: Mehr Werbung hatte ein Film selten vor dem offiziellen Start.
An dem Abend bei Almir haben wir dann einen anderen brasilianischen Film gesehen. Im Vorspann lief eine Anti-Piraterie-Kampagne: Vater kommt abends nach Hause und schwenkt stolz eine DVD. „Sohn, guck mal, was ich hier habe – toll, was? Eine brandneue Raubkopie“, sagt er. Darauf der Sohn: “Papa, guck mal meine Mathearbeit, ich hab ne Eins - toll, was? Hab ich alles abgeschrieben!“
Ich fand die Kampagne gar nicht schlecht. Dann hat mir Almir gestanden: auch diese DVD war eine Raubkopie.
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