Mittwoch, 7. April 2010

Eine Rache für uns alle


Meine Nachbarn haben es sogar live am Radio verfolgt, und sie waren nicht die Einzigen. Wir haben ja in letzter Zeit in Brasilien leider öfter gruselige Verbrechen in den Medien miterlebt. Von dem kleinen Jungen Joao Hélio, der von Autodieben im Teeniealter zu Tode mitgeschleift wurde, über die wohlhabende junge Suzane von Richthofen, die ihren Liebhaber dazu brachte, ihre Eltern umzubringen, bis zum Mord an der jungen Deutschen Jennifer Kloker, als Tochter einer Puffmutter seit jungen Jahren daran gewöhnt, als Ware angesehen zu werden, deren brasilianischer Ehemann und Schwiegervater sie umbrachten, um ihre Lebensversicherung zu kassieren. Aber am meisten schockiert hat die Nation der Tod von Isabela Nardoni.

Vor zwei Jahren starb das 5jährige Mädchen Isabela in Sao Paulo. Sie war im sechsten Stock aus dem Fenster gestürzt und erlag kurz nach dem Aufprall auf dem Rasen ihren Verletzungen. Isabela war zu Besuch bei ihrem Vater und dessen neuer Freundin gewesen. Das Paar gab zunächst an, ein Einbrecher habe die Kleine aus dem Fenster geworfen, verstummte aber, als Untersuchungen ergaben, dass Isabela bereits vor dem Fenstersturz Würgemale zugefügt worden waren. Indizien verwiesen auf eine andere Variante als die des Einbrechers. Vaters Neue hatte bereits im Auto mit dem Mädchen gestritten und sie in Folge heftig gewürgt. In der Wohnung angekommen, glaubten Anna Jatobá und Alexandre Nardoni, das Kind sei bereits tot und beschlossen, sich seiner zu entledigen. Der Vater warf seine Tochter, die zu diesem Zeitpunkt noch lebte, aus dem Fenster in den Tod.

Nun ist in Rekordzeit das Urteil gesprochen worden. Wie in Fällen von Mord, Totschlag etc. in Brasilien üblich, von einem willkürlich ausgewählten Geschworenen-Gericht. Recht repräsentativ war es nicht für die brasilianische Gesellschaft: Mindestens vier der sieben Geschworenen sind entweder Studenten oder Hochschulabsolventen. Das Ergebnis dürfte dennoch dem Volk aus der Seele sprechen. „Schuldig“ hieß es für Alexandre Nardoni und Anna Jatobá: Sie wurden zu 31 und 26 Jahren Haft verurteilt, wegen Mordes mit erschwerenden Umständen.

Veja, Brasiliens größtes Nachrichtenmagazin titelt daraufhin: „Verurteilt! Jetzt kann Isabela in Frieden ruhen.“ Muss das sein? Brauchen wir das? Eine Rache für uns alle?

Der Reporter der Zeitschrift meint: Ja. Weil wir uns zwar nicht der illusionären Hoffnung hingeben wollen, es werde keine Schwerverbrechen mehr geben. Aber weil es uns beruhige, zu wissen, dass die Verbrecher ihre gerechte Strafe bekommen.

Das halte ich für ebenso illusionär. Üblicherweise dauern Verfahren in solchen Prozessen viele Jahre. Der Journalist Pimenta Neves, der seine Geliebte erschoss, weil sie sich von ihm getrennt hatte, wartete sechs Jahre in Freiheit auf seinen. Bei Verbrechen aus Leidenschaft kann ein geschickter Verteidiger den Geschworenen sowieso manchmal Mindeststrafen oder gar einen Freispruch entlocken. Und wenn die Angeklagten das nötige Kleingeld haben, werden sie höchstens dann zu Höchststrafen verurteilt, wenn sie ein niedliches kleines Mädchen umgebracht haben. Wie Isabela.

Vielleicht ist das der Triumph des Volks: Ausnahmsweise hat es mal die Wohlhabenden erwischt. Und zwar richtig. Das ist unser aller Rache. Nicht nur für Isabela, sondern für die komplette soziale Ungerechtigkeit.

Fotos: Anna Jatoba und Alexandre Nardoni (oben), Isabela Nardoni und ihre Mutter (unten) - ohne Bildnachweis

2 Kommentare:

David hat gesagt…

Verbrechen [das also, was gemäß Gesetzeslage, als auch nach „unserer“ Rechts-Auffassung als „strafrechtlich relevant“ gewertet wird] bedürfen der Verurteilung, aus mehrerlei Gründen. Da ist das Sühnen der Tat, eine (manchmal allenfalls versuchte) Genugtuung gegenüber Opfern und deren Angehörigen. Dann, der Schutz der unbedarften Allgemeinheit vor Verbrechen wie Verbrechern ist weiterer Aspekt das Verbüßen von (Haft-)Strafen. Strafvollzug mit einhergehendem Einfluss auf die Persönlichkeit, dieser soll weiters die Besserung der Täter durch Einsicht und Reue erzielen. Um somit ein Wiedereingliedern einst Krimineller in die Gesellschaft zu ermöglichen. Was freilich nicht immer gelingt. Wohl trägt die Ahndung gewisser Regelverstöße binnen einer staatlichen Ordnung auch deren Überlegenheitsanspruch Rechung, die alleinig maßgebende und richtende Instanz zu sein.

Und schließlich ist da noch das öffentliche Interesse, das sich wiederum – je nach Fall unterschiedlich - auch zu Wort meldet. Ist freilich dieses öffentliche Interesse nicht Maß aller Dinge, so ist der Einfluss doch unverkennbar.

Anhand dessen, vorstellbar, dass dann bei manch abzuurteilenden Angelegenheiten die Mühlen der Justiz etwas schneller klappern. Und auch eine Urteilsfindung unter Berufung Geschworener kann, unter dem Hintergrund einer „vorgefertigten Meinung“ und Erwartungshaltung seitens Medien und Öffentlichkeit bestimmt beeinflusst werden. Durchaus denkbar, dass deswegen die Abarbeitung eines sog. unpopulären Falles aufgeschoben werden kann.

Welche Relevanz der Zeitschrift VEJA als repräsentatives Sprachrohr innerhalb Brasiliens auch zutreffend sein mag, wie sehr manche Schlagzeile dort vielleicht auch in gassenhauerischer Manier Anklang findet;
Der Fall Isabela ist hammerhart. Sollten die Anschuldigungen der Wahrheit entsprechen, handelt es sich um eine an den Tag gelegte Kaltblütigkeit, die jegliche menschliche wie väterliche Instinkte der Beschuldigten, bzw. deren Freundes, vermissen lassen.

Was nun ein Haftmaß von 26 und 31 Jahren genau bezweckt? Ob es genug sei, ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass es sich – wortwörtlich – um einen erheblichen Lebens-Abschnitt eines Menschen handelt, in Relation zur etwa üblichen Lebenserwartung in Jahren. Dass dadurch eine Reue aufkommt, kann, aber muss nicht sein. Z.B. rief die Freilassung von, in Deutschland inhaftierten, RAF-Angehörigen starke Kontroversen hervor. Selbst, wenn diese ihre auferlegten Jahre absaßen. Bei Christian Klar oder Peter-Jürgen Boock etwa wurden Zweifel laut. Ob es richtig sei, diese trotz fehlender Kooperation mit Ermittlern und dem Bereuen der Morde, dennoch auf freien Fuß zu setzen?

An Stelle einer Richterin oder eines Richters versetzt, dürfte es auch kein Leichtes sein, ehedem über die Urteilsfindung ein vertretbarer Entschluss zustande kommt. In einem Rechtsstaat (ohne Todesstrafe) ist jeder immer auch noch Mensch. Im Zuge der Humanität kann selbst bei einem Vergehen demnach selbst ein, als schuldig Erachteter, nicht "beliebig" sanktioniert werden - Was sein Gutes hat. Andere Staaten, wie die USA teilen da eine andere Auffassung, nämlich das ein Delinquent ab einem gewissen Grad an Schuld sein Recht auf Weiterleben „verwirkt“ hat. Ob das der weise Weg ist? Es ist die Frage: Sollte man Menschen – außerhalb der Notwehr, jenseits von polizeilich oder militärisch notwendigem Handeln – so aburteilen, dass Urteile nicht mehr revidierbar sind? Ich finde die Meinung nicht schlecht, dass nichts zerstört werden sollte, was nicht mehr zu reparieren sei (insbesondere bei Indizienprozessen, schwieriger Beweislage oder möglichen Revisionen). Bereits zu Bruch gegangenes Porzellan wird auch dadurch nicht mehr heil, indem man noch mehr davon zusammenschlägt.

Schwierige Sache, zu wahrer Gerechtigkeit zu finden.

Anonym hat gesagt…

Sehr interessant dieses Blog. Ich liebe Brasilien und find super, dass es Journalisten dort ihre Erfahrungen mit uns teilen wollen. Gruss aus Erlangen

 
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