Samstag, 10. Januar 2009

Dürre auf dem Dorf, ein Ausweg und eine neue Morgengymnastik


Im Sommer kann das schon mal passieren. Gelegentlich kommt einfach kein Wasser aus der Leitung, ist einfach so, jeder weiß das, ich natürlich auch. Deswegen war ich besonders froh über den 1000-Liter-Wassertank in meinem neuen Heim. Mit den 1000 Litern habe ich im Oktober einmal eine ganze trockene Woche durchgehalten, inklusive Duschen, Spülen, Kochen und Pflanzen gießen. Habe ein spezielles Wasser-Spar-System entwickelt, in dem das Spülwasser in einer Schüssel aufgefangen und anschließend auf die Blumen gegossen wird, das Duschwasser wenigstens teilweise noch für die Klospülung zu verwenden ist, und so fort. Ich fühlte mich ziemlich pfiffig und außerdem sicher: Nie wieder würde ich von den knausrigen Wasserzuteilungen eines Vermieters abhängen, wie noch im vergangenen Sommer. 1000 Liter sind ein wunderbarer Luxus.

Meistens fehlt hier das Wasser nur kurz. Zum Beispiel ziemlich genau seit Sommeranfang regelmäßig am Wochenende - tagsüber. Ich halte das für eine heimliche Rationierung: vermutlich stellt das Wasserwerk die Versorgung zwischen halb sieben Uhr morgens und neun Uhr abends gezielt ab, damit die Sommergäste am Strand nicht dauernd das Wasser ihren Pools wechseln oder ihre Autos waschen. Kein Problem, gieße ich eben morgens früh oder abends spät, mache mich nur bei sprudelnd vollen Leitungen an die Großwäsche und verlasse mich ansonsten auf meinen Wassertank.

Das funktioniert bestens. Jedenfalls funktionierte es bis letzte Woche. Als am Samstag kein Wasser aus der Leitung kam, machte ich mir keine Gedanken. Als es abends immer noch nicht floss, dachte ich, es werde sicher am Montag wieder kommen. Am Dienstag goss ich die Pflanzen etwas sparsamer als sonst. Die Nachbarin sagte, eine Wasserpumpe sei kaputt, würde aber am Mittwoch wieder in Ordnung sein. Am Mittwoch musste ich sowieso in die Stadt fahren. Als ich am Donnerstag wieder kam, und schnell mein soeben benutztes Saftglas ausspülen wollte, tröpfelte es kurz spärlich aus dem Wasserhahn, dann war Ende. Offensichtlich war am Mittwoch keine Reparatur erfolgt. Ich drehte am zentralen Wasserregler, versuchte den Hahn im Bad und den im Garten. Nichts. Mein Luxus-Tank war leer. Keine Ahnung, ob das daran lag, dass ich ausnahmsweise meine Capoeirahose mit Wasser aus dem Tank gewaschen hatte. Ob ich beim Spülen nicht geizig genug gewesen war. Oder ob ich letztens einem Freund nicht so großzügig hätte gestatten sollen, dass er sich ausgiebig aus meinem Wassertank erfrischt. Jedenfalls hatte ich jetzt keine Dusche, um mir den Stadtstaub abzuspülen. Kein Wasser, um Essen zu kochen. Kein Gießwasser für die Pflanzen.

Als ich reichlich ratlos kurz darauf im Garten saß, rief mich meine Nachbarin. Genau die alte Dame, die sonst immer schon morgens um fünf ihre Hühner mit den wüstesten Schimpfwörtern anschreit. Sie mache sich Sorgen um mich, sagte sie. Sie habe ausnahmsweise ihren Tank aus dem Brunnen eines Bekannten füllen können, erklärte sie mir. Und schenkte mir zwei Eimer voll der Mangelware. Ziemlich selbstlos war das, vor allem, weil sie selbst nicht wusste, wann sie ihren Tank das nächste Mal würde füllen können. Mir wurde bald nach der ersten Freude über die Spende schmerzlich bewusst, wie wenig zwei kleine Eimerfüllungen sind: Nach einer Katzendusche und Mini-Geschirrspülung reichten sie gerade noch für eine Pro-Forma-Berieselung eines Bruchteils meiner Tomatenpflanzen.

Man soll in der Gegenwart leben und sich keine unnötigen Sorgen machen. Am Freitag nutzte ich also einen Reitausflug mit ein paar Urlaubern und badete schlau gleich im Fluss. Als ich später beim Wasserwerk anrief, sagte mir ein freundlicher Mensch, die defekte Wasserpumpe sei bereits zum zweiten Malk repariert (am Mittwoch habe es einen neuen Defekt gegeben) und würde soeben installiert: spätestens abends sei wieder Wasser in meiner Leitung. Nein, garantieren könne er das nicht, schränkte er seinen Optimismus auf meine misstrauische Nachfrage ein, aber die Techniker seien vor Ort und würden das Problem lösen.

Bis abends hatten sie es nicht gelöst. Glücklicherweise war ich zum Essen eingeladen und hatte weder mit Kochen noch mit Spülen ein Problem. In der Eile hatte ich nur die Pflanzen übersehen. Als ich nachts nach Hause kam, hatten nicht nur die Tomaten ihre Köpfe in einer resignierten Trauer gesenkt, die zum Herzerweichen war. Auch meine liebevoll gesetzten Papaya-Zöglinge drohten aufzugeben, und die Maracujá-Ranken wurden nur noch von den fremden Ästen gehalten, um die sie sich gewickelt hatten: Wenn ich nicht bald eine Lösung fand, würden sie alle sterben. Verzweifelt verteilte ich mein Mineralwasser auf die Traurigsten der Pflanzen und ging schlafen.

Morgens fand ich den Ausweg. Unten am Fuß des Hügels, auf dem oben mein Haus thront, wohnt eine Bekannte, die einen Brunnen hat. Von dort schleppte ich eimerweise Wasser den Hügel hinauf. Japsend und hechelnd. Bis alle ihren Rettungsguss abbekommen hatten. Ich darf das jeden Tag tun, sagt meine Bekannte. Ich darf auch bei ihr duschen, und wenn sie mal nicht zuhause ist, gibt es eine Dusche im Garten. Mache ich. Inklusive Haare waschen und allem Drum und Dran. Später. Jetzt muss ich mich erst mal von der neuen Morgengymnastik erholen.

Samstag, 3. Januar 2009

9000 Quadratmeter Beton und ein kleines Familientreffen


Wenn Sänger wie Caetano Veloso und Maria Bethania ihrer Mutter ein Denkmal setzen wollen, ist das einfach: Sie schreiben ein Lied. Oder mehrere. Das kostet nichts und wirkt einwandfrei: In Brasilien – und teilweise sogar darüber hinaus - ist Dona Canô beinahe ebenso bekannt, wie ihr Star-Nachwuchs.

Weniger künstlerisch begabte Typen haben es schwerer, ihre Erzeugerin für die Nachwelt zu erhalten. Dona Lindu kennt noch kaum jemand. Der nach ihr benannte öffentliche Raum Parque Dona Lindu in Recifes Strandviertel Boa Viagem war zwar eine kostspielige Angelgenheit, wurde aber erst vor ein paar Tagen eingeweiht. „Öffentlicher Raum“ sage ich, um mich aus dem örtlichen politischen Hickhack rauszuhalten, denn ob es sich bei dem Werk um einen Park handelt, darüber streiten sich die Recifenser seit vielen Monaten. Auf jeden Fall war er teuer: 29 Millionen Reais für rund 3,3 Hektar, ein Drittel davon, beinahe ein Hektar, bestehend aus Beton und bereits nach seinem Hundertsten geplant von Stararchitekt Niemeyer, der dafür die Summe von zwei Millionen berechnete. Das nennen jetzt manche größenwahnsinnig oder pharaonenhaft.

Angefangen hat es - zugegeben deutlich bescheidener - mit einer Idee der Stadtviertel-Bewohner. Die liefen immer wieder an dem riesigen Brachlandareal direkt am Meer vorbei und guckten begehrlich auf Kokospalmen und Büsche. Das teure Boa Viagem ist nämlich so trefflich und vor allem wirtschaftlich genutzt, dass für jeden Einwohner statistisch weniger als ein Quadratmeter Grünfläche bleibt. Weil dieses ungenutzte Grün keinem Investor gehörte, sondern der Marine, kommt irgendeiner auf die Idee, Unterschriften zu sammeln und eine Spende zu erbitten: die Marine soll das Filet-Grundstück an die Gemeinde Recife verschenken, damit die dort einen öffentlichen Park einrichtet. 17.000 Unterschriften kommen schnell zusammen. Das war im Jahr 2004.

Knapp ein Jahr später gelingt es dem Bürgermeister, nach Gesprächen mit der Aeronautica, dem Verteidigungsminister und anderen, endlich auch mit Präsident Lula über das Projekt zu sprechen. Von da an wird alles anders. Zwölf Tage nach dem Telefonat gibt Lula die Abtretung des Geländes an die Gemeinde bekannt, weitere zwei Wochen später sind bereits alle nötigen Dokumente unterzeichnet. Beeindruckend. Wessen Idee es dann war, das Ganze nach der verblichenen Mutter des Präsidenten zu nennen, verschweigen alle Beteiligten. Die Spitznamen von Mutter und Sohn passen jedenfalls prima zusammen; und Dona Lindus vollen Namen Eurídece Ferreira de Melo kennt vermutlich schon lange niemand mehr. Offizielle Begründung für die Namenswahl: Dona Lindu sei eine typische Nordostfrau, die mit ihren sieben Kindern ohne Mann vor Not und Trockenheit aus Pernambuco nach Sao Paulo floh – darunter, und das ist weniger typisch, der künftige Präsident Lula. Arschkriecherei nennen das manche böse. Dona Lindu sei nie auch nur bis nach Recife gekommen und habe erst recht nichts für den Bundesstaat und seine Bewohner getan, um ein so üppiges Denkmal zu verdienen. Ersatzweise schlagen unzählige Internauten in Kommentaren ihre eigenen Mütter, Großmütter, Cousinen und andere weibliche Verwandte als Namensgeber vor, die ebenfalls Kinder allein durchgebracht hätten. Oder wenigstens einen Künstler, Schriftsteller – kurz: einen nicht politisch besetzten Namen einer Person, die sich um die Stadt verdient gemacht hätte.

Dass Lulas Mama mit der Stadt Recife nichts zu tun hat, stört mich gar nicht so sehr. Eher schon, dass man aus den Luxus-Bauten des Parks nicht mal das Meer sehen können soll. Oder dass die heiß erwarteten, angeblich erwachsenen Bäume, die den Parkbesuchern Schatten spenden sollen, noch immer nicht gepflanzt sind. Oder dass die Planer mit der zum Denkmal gehörenden Skulptur „Os retirantes“, das die typische Nordostflüchtlingsfamilie darstellt, einem ungelösten Problem ein Denkmal gesetzt haben – und nicht etwa einer Lösung. Bis heute rattern Lkws voller Flüchtlinge aus dem ganzen Nordosten Richtung Sao Paulo – genau wie der, auf dem damals Lindu und Lula unterwegs waren (übrigens auf Freifahrschein, weil sie das Fahrgeld nicht aufbringen konnten – so großzügig sind die Lkw-Fahrer wohl heute nicht mehr). Weil bis heute keiner eine Lösung für die Probleme Hunger, Not, Trockenheit sowie Struktur- und Bildungsmangel im Nordosten gefunden hat. So gesehen wäre es doch eine hübsche Idee, in Rio demnächst ein Denkmal für die „Favelados“ aufzustellen, für all die Hunderttausenden Slum-Bewohner, die aus Not keine Alternative haben, als die billige Unterkunft im illegalen von Drogenbossen und paramilitärischen Milizen dominierten urbanen Raum.

Aber darum geht es natürlich gar nicht. Hier haben sich – so darf vermutet werden – Politiker und Geschäftsleute diverse Gefallen getan. Der scheidende Bürgermeister von Recife hat sein Großwerk geschickt noch schnell vor der Amtsübergabe eingeweiht und beim Präsidenten bestimmt auf längere Zeit einen dicken Stein im Brett. Womöglich nicht nur beim Präsidenten: Das neuste stadtplanerische Werk in Boa Viagem hat in seinen zwei Jahren Planungs- und Bauphase eine Kostenexplosion erlebt, die erstaunlicherweise kaum kommentiert wurde: die neuerdings genannten umgerechnet fast 10 Millionen Euro Gesamtkosten sind das Doppelte der ursprünglich veranschlagten Summe.

Wer sucht, findet weitere Unstimmigkeiten: So hat etwa die benachbarte Hauptstadt des Bundesstaats Paraiba ebenfalls ein Niemeyer-Werk bekommen. Ebenfalls einen sogenannten Park. Mit ganz ähnlichen Bauwerken und sogar deutlich mehr Grünfläche. Der ist allerdings viel billiger. Unter anderem (aber nicht nur!), weil Niemeyer den Joao Pessoanern das Projekt geschenkt hat. Ob er das bei den anderen Nordost-Städten, die sich bald ebenfalls mit Niemeyer-Parks schmücken können, ebenfalls getan hat, weiß ich nicht. Könnte aber sein, dass unser beileibe nicht reiches Recife den Prototyp für alle anderen mit finanziert hat. Dabei mag jeder selbst entscheiden, ob dieser Prototyp nun ein Park ist, ein Platz, ein Vergnügungszentrum oder antidemokratischer Frevel, wie manche behaupten.

Jedenfalls ist der Präsident persönlich zur Einweihungsfeier gekommen. Auch wenn noch nicht viel fertig war, und sich vor dem Rohbeton reichlich zerrupfte Rest-Palmen im heißen Sommerwind wiegten: Es gab ein hübsches kleines Familienfest mit Musik vom immerhin aus der Nachbarstadt Olinda stammenden Sänger Alceu Valenca und nur wenig Proteste. Wenn einer 23 Brüder, Cousins und Neffen um sich versammelt, kann man das doch ein kleines Familienfest nennen, oder? So viele Verwandte des Präsidenten waren gekommen, das Denkmal für Dona Lindu zu sehen. Wer weiß, vielleicht ist sie bald ebenso bekannt wie Dona Canô.
 
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