Samstag, 18. August 2007

Kleine Gefallen unter Amigos

Die Polizeigewalt in Brasilien kann sehr schnell und effizient sein. Unter Amigos. Unter Amigos kann es sein, dass die brasilianische Polizei auch mal eher gesetzesferne Aufgaben übernimmt. Wenn einer den richtigen Amigo hat, kann das sogar unter den Augen der Öffentlichkeit passieren.

Fidel Castro hat so einen Amigo. Er telefoniert gerne mal mit seinem brasilianischen Kumpel, ohne große bürokratische Schleifen zu ziehen. Böse Zungen behaupten, Fidel habe kürzlich mit einem solchen Telefonat unter Freunden ein lästiges Problem ganz schnell aus der Welt geschafft.

Es geschah mitten im PAN, den panamerikanischen Spielen in Rio. Diverse kubanische Athleten verschwanden bei den Spielen. Das ist nichts außergewöhnliches: Kubanische Athleten verschwinden gerne mal bei internationalen Wettkämpfen. In Rio tauchten ein Handballer, ein Gymnastik-Trainer und zwei Boxer ab. Der Handballer hatte einen Vertrag mit einem brasilianischen Verein ausgehandelt, stieg in ein Taxi und fuhr nach Sao Paulo, wo er umgehend politisches Asyl beantragte. Das erwies sich im Nachhinein als am klügsten. Der tänzerische Gymnast ist bis heute spurlos verschwunden. Und die beiden Boxer sind das Problem. Oder sie waren das Problem.

Menschenraub. Sagt Fidel. Flucht. Sagt die Presse. Aber die weiß eh nicht viel von der ganzen Sache.

Von hier an müßte eigentlich jedes weitere Wort vorsichtshalber in Anführungszeichen stehen – nichts ist bewiesen, noch beweisbar, denn die Autoritäten schweigen entweder oder verbreiten erstaunliche Versionen. Unbestritten ist: Die beiden Box-Weltmeister verschwanden kurz vor dem offiziellen Wiegen vor den Wettkämpfen. Elf Tage später wurden sie von der brasilianischen Polizei an einem Strand festgenommen, als sie gerade den Sonnenuntergang betrachteten. Weitere drei Tage später bestiegen sie nachts eine von der kubanischen Regierung gecharterte Yacht und tuckerten zurück auf ihre Heimat-Insel.

Normalerweise ist es in Brasilien nicht verboten, den Sonnenuntergang zu betrachten. Die Boxer Guillermo und Erislandy betrachteten den Sonnenuntergang allerdings ohne ihre Reisepässe mit den 90-Tage-Visa zum Aufenthalt in Brasilien - die hatten die Offiziellen von ihrer Delegation fest in Verwahrung. Deswegen waren die Boxer illegal am Strand. Deswegen wurden sie festgenommen. So die Polícia Federal.

Wie sie an ihrem idyllischen Strand gefunden wurden? Ein anonymer Amigo von Castro hatte sie denunziert. Vielleicht war es auch ein anonymer Neider. Das deutsche Unternehmen Arena Box Promotion hatte nämlich bereits auf seiner Website veröffentlicht, dass die beiden kubanischen Profis künftig bei ihm unter Vertrag standen. Gegen harte Euro, versteht sich. Unfaire Bestechung mit West-Moneten, nennt Fidel das. Darf er ruhig so nennen. Ist ja durchaus verständlich, dass der alte Diktator seine Sport-Stars nicht an den Kapitalismus verlieren will. Und erst recht nicht an einen pfiffigen Promoter, der ihm schon einmal drei Klasse-Boxer abgeluchst hatte.

Aber was hat Brasilien damit zu tun? Wenn kubanische Sportler nach Deutschland abwandern wollen?

So viel hat Brasilien damit zu tun, dass die Kubaner sofort inhaftiert wurden und weder Besuch von den Anwälten ihres neuen Chefs, noch von Vertretern des UN-Flüchtlingskommissariats oder anderen internationalen Organisationen bekommen durften. So viel hat Brasilien damit zu tun, dass die beiden in Rekordzeit aus dem Land abgeschoben wurden, bevor Medien, Menschenrechtler oder Politiker etwas dagegen unternehmen konnten.

Freiwillig seien sie gegangen, lautet die offizielle Version. Anwälte hätten sie gar keine sehen wollen. Sie wollten nur so schnell wie möglich nach Kuba zurück, heißt es. Weil der böse deutsche Unternehmer sie mit überreichlich Speis und Trank willenlos gemacht habe, und sie weder einen Vertrag unterschreiben noch nach Hamburg wollten. Das paßt zu Fidels Menschenraub-Theorie. Weniger paßt es zu der Tatsache, dass die beiden Abtrünnigen von dem bösen Unternehmer eine üppige Anzahlung auf ihren Vertrag angenommen hatten und sich damit länger als eine Woche am Strand finanzierten, während ihr neuer Chef sich um ihre Ausreisebewilligungen bemühte. Elf Tage betrunken und willenlos? Zur Abreise ins Boxermekka Hamburg reichte die Zeit trotzdem nicht - weil in Brasilien plötzlich alles so effizient und schnell ging.

Jetzt sind die Flüchtlinge wieder zuhause. Sagt jedenfalls der kubanische Botschafter. Bei ihren Familien und frei wie die Vögel, sagt er. Sie dürfen sogar Interviews geben, sagt er. Wie kürzlich im kubanischen TV, wo sie ihre große Reue beteuerten und betonten, wie froh sie seien, wieder zuhause zu sein. Es wird ihnen kein Prozeß gemacht, sagt der Botschafter.

Fidel sagt: Sie werden übergangsweise in einem Besuchshaus untergebracht werden. Besuchshaus?

Danach, sagt Fidel, werden ihnen ehrenhafte Aufgaben übertragen, die ihren Kenntnissen entsprechen.

Was keiner so direkt sagt: Dafür können sie sich bei Präsident Lula bedanken. Weil der die brasilianische Polizei in den Dienst des kubanischen Diktators gestellt hat. Der Amigo hatte darum gebeten, heisst es in einer Pressenotiz. Aber wer kann das beweisen? Klar ist nur: so schnell und effizient findet die brasilianische Polizei normalerweise nicht mal Kapital-Verbrecher.

Mittwoch, 15. August 2007

Wir sind Weltwunder

Das Schöne am Leben zwischen zwei Welten ist, dass es in beiden Welten Grund zum Feiern gibt. Vor allem nach zwei Monaten Abwesenheit. Auch wenn im Supermarkt erst mal auffällt, dass der Milchpreis in den paar Wochen um mehr als 60 Prozent gestiegen ist. Auch wenn der tropische Dauerregen sich zuhause in mehrere Wände gesogen hat und Kleidung wie Bücher schimmelig riechen. Auch wenn der Wechselkurs sich für Euro-Verdiener häßlich verschoben hat. Alles unwichtiger Kleinkram. Denn wir sind Weltwunder!

Vom Rest der Welt nicht hinreichend gewürdigt, ist der Cristo Redentor in Rio de Janeiro im Juli auf Platz Drei der neuen Weltwunder gelandet. Hier ist das wichtig, fast so wie für die Deutschen das "Wir-sind-Papst-Phänomen". Gleich am nächsten Tag wurden auf dem Corcovado sieben Tausend-Watt-Birnen ausgetauscht, die schon sieben lange Jahre ihren Dienst getan hatten. 50 Prozent heller soll der Christus jetzt in der Nacht erstrahlen. „Glückwunsch Rio!“ hat Präsident Lula ausgerufen, „Glückwunsch Brasilien!“ Jetzt sind wir wer. Präsentieren uns mit dem gigantischen Gruß-Helden stolz neben historischen Bauten wie der chinesischen Mauer und Machu Picchu und sogar vor europäischen Prachtwerken wie dem Eiffelturm und der Alhambra, die in der Wahl der neuen Wunder weit abgeschlagen wurden.

Alle freuen sich. Lula, der Liebhaber aller Rekorde, kann verzeichnen, dass das Land in seiner Regierungszeit ein neues Weltwunder erlangt hat. Bürgermeister und Gouverneur von Rio erhoffen sich einen Imagegewinn, der sich über steigende Tourismuszahlen direkt im BIP des Bundesstaates niederschlagen soll. Die Bewohner Rios durften am Sonntag nach der Wahl endlich umsonst mit der Bahn auf den Christus-Hügel fahren – viele werden ihm dabei zum ersten Mal nahe gekommen sein. Im Massenandrang entdeckte die Polizei auch ein paar illegale Sammeltaxis, selbst ernannte Parkwächter und Touristenführer: Künftig sollen Interessenten sich zu echten Führern ausbilden lassen können – so schafft das Weltwunder womöglich sogar Arbeitsplätze.

Ausserdem hat die Wahl große Hoffnungen geweckt. Zum Beispiel bei der Urenkelin des Erbauers, Bel Noronha, die schon einen Dokumentarfilm über das berühmte Lebenswerk ihres Uropas gedreht hat. „Die Wahl ist ein Zeichen, dass die Brasilianer fähige Menschen sind, dass wir auf unsere Taten stolz sein können. Brasilien macht nicht nur Fehler. Vielleicht ist das jetzt ein Anfang der Anerkennung für unser Volk. Ich war immer der Meinung, dass wir mehr Selbstbewußtsein brauchen“, sagt sie.

Was könnte besser das brasilianische Selbstbewußtsein illustrieren, als die Tatsache, dass die Brasilianer den steinernen Schutzpatron ihrer Lieblingsstadt per Mausklick und Telefonanrufen auf eine Ebene mit dem antiken Petra und dem Taj Mahal gevotet haben? Eine Skulptur mit einem „leeren Ausdruck wie ein Roboter“, wie ein Kommentator feststellt: „Eine Figur, die ganz und gar starr, eingefroren und schematisch“ wirkt. Darauf kommt es nicht an. Sondern auf den Symbolwert. Deswegen haben sich längst unzählige Bürgermeister eine Christuskopie auf ihren Dorfplatz setzen lassen und noch ungezähltere Bürger einen Mini-Christus für den Vorgarten angeschafft. Für das Selbstbewußtsein.

Vielleicht haben den Christus tatsächlich nur die Brasilianer selbst gewählt: 160 Millionen Menschen sind genug, um sich durchzusetzen, sogar bei Weltwundern. Wenn die Brasilianer jetzt noch richtig selbstbewußt werden, dann sind ihnen womöglich bald gar keine Grenzen mehr gesetzt. Gleich noch ein Grund zum Feiern.
 
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