Montag, 18. Januar 2010
Der gezähmte Strand
Jedes Kind weiß, dass der Strand der demokratischste Raum von Rio de Janeiro ist. Die einzelnen Lebensretter-Stationen und ihr Gebiet mögen unter Hausfrauen, Gays und Modelanwärterinnen aufgeteilt sein. Aber die Stadtverwaltung hat sich da nie groß eingemischt. Nie. Sie bezahlt die Jungs auf den großen Traktoren, die jede Nacht die Spuren von Picknicks, Sportveranstaltungen, Flirts und Orgien beseitigen. Sie hat die Plakatwände mit den Sprühdüsen aufgestellt, aus denen sich Jogger oder schwitzende Touristen mit einer frischen Brise bestäuben können. Sie hat sogar – vor Jahren – versucht, ein neues überaus elegantes Modell an Kiosken an der Avenida Atlantica einzuführen. Beispiele für die Metall-Glas-Konstruktionen sind vor dem Copacabana Palace und etwas weiter unten zu besichtigen, viel weiter ist die Initiative bislang nicht gediehen. Und das war‘s. Das hätte es sein können.
Der Strand von Rio de Janeiro bietet Platz für allerlei Beschäftigungen und Geschäfte. Sonntags ist besonders viel zu sehen. Von perfekt modellierten Körpern bis zu perfekt frisierten Hunden, von Selbstdarstellern bis zu selbstvergessenen Sandburgen-Bau-Profis. Ich setze mich am liebsten irgendwo in die Mitte und gucke. Und kaufe mir all die herrlichen Snacks, die mir sozusagen unter der Nase vorbei getragen werden: Garnelenspieße oder gegrillter Käse, frische Säfte oder knuspriges Kokoskrokant. Alles hausgemacht oft besser und immer billiger als in den Bars und Restaurants. Das soll jetzt alles anders werden.
Der Bürgermeister der Stadt hat vielleicht an die nahende WM 2014 oder die ebenfalls vor der Tür stehenden Olympischen Spiele 2016 gedacht, als er verfügt hat: Nur noch industrialisierte Nahrung an Rios Stränden. Toller Wurf: Statt vieler komplizierter Euro-Normen ein einziges Gesetz. Das auch nur eine einzige Firma begünstigt. Von der nämlich künftig alle der mehreren Hundert Strandkiosk-Betreiber mit festem Standort ihre industrialisierten Waren beziehen müssen. Das erzählt der Bürgermeister natürlich nicht so gerne.
Zu gucken gibt es auch weniger. Strandsportarten wie Fuß- oder Volleyball dürfen nämlich jetzt zwischen 8 und 17 Uhr nicht mehr am Wasser betrieben werden, sondern nur noch neben der Avenida im tiefen Sand. Das macht zwar sicher mehr Muskeln, aber garantiert weniger Zuschauer: Am Strand guckt man Richtung Wasser, das ist ehernes Gesetz. Zuletzt wird es auch nahezu unmöglich, Freunde am Strand zu treffen, jedenfalls sonntags. Üblicherweise kostet es bereits ein gutes Dutzend Handygespräche, um sich in dem wilden Getümmel zur richtigen Stelle zu lotsen, orientiert an gelben und grünen Sonnenschirmen und mehr oder minder hübschen Styropor-Kühlkästen. Das war einmal. Jetzt sehen alle Kioske weiß, alle Sonnenschirme rot und alle Strandstühle gelb aus, egal ob sie Dona Dilma oder Claudete gehören.
Die Brasilianer sind nicht für ihren revolutionären Geist bekannt, sie ziehen es meist vor, still und unauffällig eine hübsch flexible, ihnen genehme Lösung zu suchen, als auf die Straße zu gehen. Aber diese Aktion des Bürgermeisters ging den Cariocas zu weit. Nutzte nichts, dass der bedrängte Mann betonte, er habe gar keine neuen Gesetze gemacht, er lasse nur zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes für ihre Beachtung sorgen. Pustekuchen. Am schlimmsten schien es den Strandgängern, künftig Kokoswasser aus Plastikflaschen trinken zu müssen, anstatt direkt aus der grünen Kokosnuss, ökologisch korrekt und außerdem natürlich kühl gehalten. Nach einigem Hin und Her – öffentlich und lautstark – ist der Gouverneur zurück gerudert. Kokosnüsse werden doch nicht verboten. Ob er das seinem teuer eingekauften Berater, dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani verschwiegen hat? Zu dessen „Null Toleranz“ passt solche Schwäche jedenfalls nicht so richtig.
Insgesamt wird der Spezialeinsatz markig fortgeführt: Statt 143 sollen jetzt 400 Aufpasser kontrollieren, ob alles seinen gesetzlich erlaubten Gang geht, mit elektrisch angetriebenen Skates und Elektroautos, Einsatzleitungs-Zelten und einem regionalen Einsatz-Zentrum. Zweifler gibt es trotzdem.
„Das Gesetz existiert, aber wir sind hier in Brasilien“, wird der Student Bernardo von der Agentur Reuters zitiert: „Man muss hier nur ein bisschen rum laufen, dann sieht man, wie alle Gesetze ignoriert werden.“ Der gezähmte Strand wird wohl eine Utopie bleiben.
fotos: christine wollowski (2), globo.com und reuters
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
2 Kommentare:
"Jetzt sehen alle Kioske weiß, alle Sonnenschirme rot und alle Strandstühle gelb aus" -> Sag, dass dies nicht wahr ist! Echt? War im Dez. 2008 in der cidade maravilhosa und da war es bisher ZUM GLÜCK noch nicht so!
"Alles hausgemacht oft besser und immer billiger als in den Bars und Restaurants. Das soll jetzt alles werden." Haste vielleicht das Wort ANDERS vergessen?
Um abraço,
Bruno
Hm, ich frage mich, ob damit der Stadt nicht sogar noch mehr geschadet wird: Wie sollen die Verkäufer von Hausgemachtem denn jetzt ihr Geld verdienen? Aber die paar mehr im Abseits fallen wahrscheinlich gar nicht weiter auf... Traurig.
Kommentar veröffentlichen