Samstag, 7. Januar 2006

Teure Vaterjagd

Im Bundesstaat Sao Paulo werden neuerdings säumige Väter gezwungen, ihre Nachkommen anzuerkennen. Erst müssen sie zum DNA-Test und dann ins Standesamt, die Kinder registrieren lassen. Angefangen hat die Vaterjagd im Städtchen Mirassol – demnächst wollen die anderen Gemeinden des reichsten Bundesstaates Brasiliens nachziehen.

Uneheliche Kinder sind nichts Besonderes in Brasilien. Nach offiziellen Statistiken lebt ungefähr jedes dritte Kind ohne seinen Vater. Nach meinen privaten Schätzungen gibt es kaum einen Mann über 20, der nicht mindestens ein Kind gezeugt hat – und nicht mit dessen Mutter zusammen lebt. Wenn sie noch sehr jung sind, lassen die jungen Mütter ihren Nachwuchs gerne bei der Oma und machen sich auf zu neuen Leben, neuen Lieben – und womöglich neuen unehelichen Kindern. Wenn sie Glück haben, bekommen die ledigen Mütter staatliche Hilfe zum Lebensunterhalt: die „Bolsa familia“. Sie geht inzwischen an 11 Millionen brasilianische Familien und wird in 93 Prozent der Fälle an Mütter oder Großmütter ausgezahlt. Männer sind zum Zeugen da. Beinahe ein Drittel der brasilianischen Haushalte wird von Frauen geführt.


So wie bei meinen Nachbarn im Eckhaus. Die Mutter hat sechs Kinder in die Welt gesetzt - jedes von einem eigenen Vater, und keiner ist bei der Familie geblieben. Als der Jüngste drei war, ist die Mutter an Brustkrebs gestorben. Seitdem kümmert sich ihre unverheiratete Schwester um die drei Kleinsten. Sie leben in einem Einzimmerhaus und schlagen sich mit allerlei staatlichen Hilfen durch. Wenn am Monatsende Geld für den Bus übrig bleibt, fahren die Knirpse manchmal auf Bitt-Tour zu ihren Vätern. Gelegentlich kommen sie sogar mit ein bißchen Geld zurück. Meistens fehlt hinterher nur das Busgeld in der knappen Haushaltskasse. Achtung: Dies ist kein repräsentatives Beispiel. Statistisch belegt ist nur, dass beinahe die Hälfte aller alleinerziehenden Mütter unterhalb der Armutsgrenze lebt.


Da kann es nicht schaden, die Väter mal in die Pflicht zu nehmen. Erfinder der neuen Vaterjagd von Sao Paulo ist der Staatsanwalt José Heltor dos Santos. Er hat in allen Kinderkrippen von Mirassol die Akten durchgesehen. Wo kein Vater für das Kind eingetragen war, hat er sich die Mutter vorgeknöpft. „In 90 Prozent der Fälle wussten die ganz genau, wer der Vater ist“, sagt der Gesetzesvertreter stolz. Sein Druck auf die Väter war durchaus erfolgreich: Die Hälfte hat ihren Sproß schon anerkannt, die andere Hälfte wartet noch auf das Ergebnis des DNA-Tests.


Den teuren Test zahlt die Staatsanwaltschaft, denn dos Santos hat festgestellt, daß bei der Mehrzahl der jugendlichen Kriminellen „Vater unbekannt“ in der Geburtsurkunde steht. „Ich nehme an, daß die väterliche Abwesenheit viele Jungs ins Verbrechen treibt“, schliesst er daraus. Und meint damit wohl vor allem die väterliche Abwesenheit auf der Geburtsurkunde: Ausser der Unterschrift im Standesamt bekommen die alleinerziehenden Mütter in Sao Paulo von den offiziell gemachten Vätern nämlich nichts. Mehr als acht Prozent aller Grundschüler in Sao Paulo haben den Vermerk „Vater unbekannt“ in der Geburtsurkunde stehen. Jeder DNA-Test kostet mehr als 300 Euro. Eine teure Vaterjagd wird das.

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