Freitag, 22. Januar 2010

Der Pferdeklau und ein Hauch von Unverständnis


Bekanntermaßen ist der Brasilianer an sich nicht so gerne direkt. Vor allem bei Konflikten. Oft ist das eine gute Sache, weil zwei Konfliktpartner sich in kleinen Dörfern immer wieder über den Weg laufen – und das fällt ihnen natürlich wesentlich leichter, wenn sie sich nicht bis aufs Blut gestritten, sondern in freundlichen Arabesken um den eigentlichen Streit-Gegenstand kreiselnd verständigt haben. Ich versuche also, in dieser Hinsicht lebenslanges Lernen zu verwirklichen und meine unpassende deutsche Direktheit abzulegen. Es gelingt mir immer öfter, nicht gleich wütend herauszuplatzen, wenn irgendwas passiert ist. Meist ist es auch mir als Fremder möglich, die mehr oder weniger eleganten Andeutungen zu verstehen, in denen sich Einheimische den eigentlichen Sachverhalt mitteilen.

Meine Nachbarin zum Beispiel, also nicht diejenige, die immer mit ihren Hühnern schimpft, sondern die andere, welche morgens mit einem Kinderstimmchen singend durch den Garten wandelt und gelegentlich auf ihrer Terrasse grollende Prediger empfängt. Meine Nachbarin also, wendet sich meist sehr freundlich an mich. „Frau Nachbarin“, sagt sie etwa, „ich wünsche einen schönen Guten Morgen“, und lächelt dabei. Dann fährt sie fort, immer noch lächelnd: „Frau Nachbarin, sammeln Sie etwa den Pferdemist als Dünger?“ „Nein“, sage ich wahrheitsgemäß, „den sammele ich nicht, den hat das Pferd gestern hier fallenlassen, als es gerade da war.“ „Ach“, antwortet die Nachbarin, jetzt sichtlich bekümmert, „Sie wissen gar nicht, wie unglaublich das gestunken hat, den ganzen Tag und die ganze Nacht“. Und dann wendet sie sich ab und verschwindet in ihrem Haus.

So weit, so klar. Meine Nachbarin ist einfach zu verstehen, sie hasst Tiere. Katzen verdächtigt sie, ausschließlich und ständig auf ihre Terrasse zu defäkieren – ungeachtet der Tatsache, dass Katzen keine glatten kalten Unterböden, sondern sandige weiche für solcherlei Tätigkeiten vorziehen. Sie kann Hunde nicht ausstehen, weil die sich sämtlich in ihrem Garten versammeln, um dort wilde Paarungen vorzunehmen. Und Pferde mag sie auch nicht, weil die ständig stinken. Insofern passen wir schlecht zusammen, aber ich tue mein Bestes, ihre Geduld mit der Tieranwesenheit auf meinem Grundstück nicht zu sehr auszureizen.

Schwieriger wurde es heute. Da suchte ich mein Pferd. Das hatte jemand von seinem Weideplatz entfernt, an dem es gestern im Morgengrauen noch angebunden stand. Da ich den ganzen Tag in der Stadt war, hörte ich erst abends im Dunkeln von seinem Verschwinden. Und erfuhr außerdem, dass jemand auf ihm reitend gesichtet worden war, spätnachmittags, im übernächsten Dorf. Das waren gleichzeitig schlechte und gute Nachrichten: gute, weil das Pferd noch in der Nähe war und nicht etwa unterwegs zum Pferdemarkt, auf dem jeden Sonntag reichlich Tiere verkauft werden, nach deren Herkunft niemand fragt. Schlechte, weil die Tatsache, dass jemand auf ihm durch die Gegend ritt, bedeutete, dass dieser jemand kein sonderliches Interesse daran hatte, mir das Pferd zurück zu geben.

Im Dunkeln suchen, ist schwierig, also wartete ich bis heute Morgen. Kaum war ich auf der Mutter des Vermissten losgeritten, traf ich einen Bekannten. Der guckte sich seltsam um, druckste etwas, und sagte dann, er wisse, wer mein Pferd habe. Nämlich Y, nennen wir ihn João. Der sei gestern auf ihm geritten. Morgens schon und abends wieder - im übernächsten Dorf. Aber das solle ich bitte niemandem sagen, dass er mir das verraten habe. Ein paar Hundert Meter weiter fand ich meinen Hengst. Angebunden vor der Tür eines Pferdebesitzers und Bekannten von João. Dieser Pferdebesitzer, nennen wir ihn Manoel, kam gleich aus seinem Haus, als er das freudige Willkommensgewieher meines Hengstes hörte und erklärte mir Folgendes: Ich solle doch bitte besser Acht geben auf mein Pferd. Weil der nämlich ständig hier aufkreuze und sein Pferd schon mal übel zugerichtet habe. João habe ihn herrenlos und ohne Seil herumirrend gefunden und netterweise hier angebunden. Gestern abends sei das gewesen. Und wenn ich nicht besser Acht gäbe, könne es ja sein, dass ich mein Pferd verliere, nicht jeder sei so nett, es gleich wieder anzubinden.

Das Pferd hatte einen blutigen Nasenrücken, typische Spur brutaler Reiter, die einen verletzenden Nasenbügel dazu einsetzen, das Pferd besonders markig zum Stehen zu bringen. Ich macht Manoel halbwegs elegant darauf aufmerksam, dass João mit meinem Pferd gesehen worden war. Nachmittags. Reitend. Im übernächsten Dorf. Hhm, sagte Manoel ausweichend. Der João habe so Anfälle, dann sei er unterwegs wie ein Verrückter. Er selbst sei schon manchmal sauer geworden deswegen, habe dann aber doch nichts gesagt, weil der João an sich ein guter Junge sei. Wenn er nicht diese Aussetzer habe. Aber auf mein Pferd solle ich wirklich Acht geben. So ein Hengst, der gut unter dem Sattel und vor der Kutsche geht, da gäbe es viele Interessenten. Ich speicherte Manoels Telefonnummer, um ihn in Notfällen anrufen zu können, bedankte mich für die Hilfe, ließ vorsichtshalber auch Dank an João ausrichten und ritt nachdenklich zurück.

Was wollte Manoel mir sagen? Dass João unzurechenbar sei und es nicht lohnen würde, ihn auf sein Verhalten anzusprechen? Dass er es auf mein Pferd abgesehen hatte, und es demnächst einfach verkaufen würde, wenn ich es nicht in einem abschließbaren Stall versteckte? Dass nicht nur João mein potentieller Feind war? Ich grübelte, bis ich mit meinem Hengst zuhause angekommen war, aber es blieb immer noch ein Hauch von Unverständnis: Manchmal ist deutsche Direktheit eine schöne Sache.


PS. Gehalten habe ich es dann doch lieber wie die Brasilianer: Habe überall - ohne Namen zu nennen - herum erzählt, dass einer angeblich mein Pferd gefunden habe, aber weit vorher bereits fröhlich herumreitend damit gesehen worden sei. Da hier jeder jeden kennt, wird das João garantiert zu Ohren kommen. So hat er einerseits sein Gesicht gewahrt, weiß aber andererseits Bescheid, dass ich Bescheid weiß. Ganz schön elegant, oder?

foto: rphebo

Montag, 18. Januar 2010

Der gezähmte Strand



Jedes Kind weiß, dass der Strand der demokratischste Raum von Rio de Janeiro ist. Die einzelnen Lebensretter-Stationen und ihr Gebiet mögen unter Hausfrauen, Gays und Modelanwärterinnen aufgeteilt sein. Aber die Stadtverwaltung hat sich da nie groß eingemischt. Nie. Sie bezahlt die Jungs auf den großen Traktoren, die jede Nacht die Spuren von Picknicks, Sportveranstaltungen, Flirts und Orgien beseitigen. Sie hat die Plakatwände mit den Sprühdüsen aufgestellt, aus denen sich Jogger oder schwitzende Touristen mit einer frischen Brise bestäuben können. Sie hat sogar – vor Jahren – versucht, ein neues überaus elegantes Modell an Kiosken an der Avenida Atlantica einzuführen. Beispiele für die Metall-Glas-Konstruktionen sind vor dem Copacabana Palace und etwas weiter unten zu besichtigen, viel weiter ist die Initiative bislang nicht gediehen. Und das war‘s. Das hätte es sein können.

Der Strand von Rio de Janeiro bietet Platz für allerlei Beschäftigungen und Geschäfte. Sonntags ist besonders viel zu sehen. Von perfekt modellierten Körpern bis zu perfekt frisierten Hunden, von Selbstdarstellern bis zu selbstvergessenen Sandburgen-Bau-Profis. Ich setze mich am liebsten irgendwo in die Mitte und gucke. Und kaufe mir all die herrlichen Snacks, die mir sozusagen unter der Nase vorbei getragen werden: Garnelenspieße oder gegrillter Käse, frische Säfte oder knuspriges Kokoskrokant. Alles hausgemacht oft besser und immer billiger als in den Bars und Restaurants. Das soll jetzt alles anders werden.

Der Bürgermeister der Stadt hat vielleicht an die nahende WM 2014 oder die ebenfalls vor der Tür stehenden Olympischen Spiele 2016 gedacht, als er verfügt hat: Nur noch industrialisierte Nahrung an Rios Stränden. Toller Wurf: Statt vieler komplizierter Euro-Normen ein einziges Gesetz. Das auch nur eine einzige Firma begünstigt. Von der nämlich künftig alle der mehreren Hundert Strandkiosk-Betreiber mit festem Standort ihre industrialisierten Waren beziehen müssen. Das erzählt der Bürgermeister natürlich nicht so gerne.

Zu gucken gibt es auch weniger. Strandsportarten wie Fuß- oder Volleyball dürfen nämlich jetzt zwischen 8 und 17 Uhr nicht mehr am Wasser betrieben werden, sondern nur noch neben der Avenida im tiefen Sand. Das macht zwar sicher mehr Muskeln, aber garantiert weniger Zuschauer: Am Strand guckt man Richtung Wasser, das ist ehernes Gesetz. Zuletzt wird es auch nahezu unmöglich, Freunde am Strand zu treffen, jedenfalls sonntags. Üblicherweise kostet es bereits ein gutes Dutzend Handygespräche, um sich in dem wilden Getümmel zur richtigen Stelle zu lotsen, orientiert an gelben und grünen Sonnenschirmen und mehr oder minder hübschen Styropor-Kühlkästen. Das war einmal. Jetzt sehen alle Kioske weiß, alle Sonnenschirme rot und alle Strandstühle gelb aus, egal ob sie Dona Dilma oder Claudete gehören.


Die Brasilianer sind nicht für ihren revolutionären Geist bekannt, sie ziehen es meist vor, still und unauffällig eine hübsch flexible, ihnen genehme Lösung zu suchen, als auf die Straße zu gehen. Aber diese Aktion des Bürgermeisters ging den Cariocas zu weit. Nutzte nichts, dass der bedrängte Mann betonte, er habe gar keine neuen Gesetze gemacht, er lasse nur zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes für ihre Beachtung sorgen. Pustekuchen. Am schlimmsten schien es den Strandgängern, künftig Kokoswasser aus Plastikflaschen trinken zu müssen, anstatt direkt aus der grünen Kokosnuss, ökologisch korrekt und außerdem natürlich kühl gehalten. Nach einigem Hin und Her – öffentlich und lautstark – ist der Gouverneur zurück gerudert. Kokosnüsse werden doch nicht verboten. Ob er das seinem teuer eingekauften Berater, dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani verschwiegen hat? Zu dessen „Null Toleranz“ passt solche Schwäche jedenfalls nicht so richtig.

Insgesamt wird der Spezialeinsatz markig fortgeführt: Statt 143 sollen jetzt 400 Aufpasser kontrollieren, ob alles seinen gesetzlich erlaubten Gang geht, mit elektrisch angetriebenen Skates und Elektroautos, Einsatzleitungs-Zelten und einem regionalen Einsatz-Zentrum. Zweifler gibt es trotzdem.

„Das Gesetz existiert, aber wir sind hier in Brasilien“, wird der Student Bernardo von der Agentur Reuters zitiert: „Man muss hier nur ein bisschen rum laufen, dann sieht man, wie alle Gesetze ignoriert werden.“ Der gezähmte Strand wird wohl eine Utopie bleiben.


fotos: christine wollowski (2), globo.com und reuters
 
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