Der Fußball von Salvador ist die Musik. Die meisten Jungs in Brasilien träumen ja davon, Fussballstar zu werden. Weil das der Lotteriegewinn für große Träumer aus kleinem Elternhaus ist. Also kicken die Brasilianer allüberall, am Strand, im Urwald, im Schlamm. Natürlich spielen auch die Bahianer Fußball. Nur haben sie aktuell nicht mal einen Zweitligaverein vorzuweisen. Vielleicht hat es damit zu tun, daß sich die Leute in Salvador gerne einen anderen Traum aussuchen: Den von der großen Karriere als Musiker.
Vor der Tür der Musikschule Pracatum in Salvador drängen sich die Träumer und Träumerinnen. Da hängen die neuen Kurslisten, Meilensteine auf dem Weg zum Ruhm. Die Musikschule gehört dem Sänger und Komponisten Carlinhos Brown, und der hat es schon lange geschafft. Ich bin hier, um Carlinhos Browns Projekte kennenzulernen. Plaudere ein bißchen mit ein paar Mädels, die noch nicht wissen, ob sie die Aufnahmeprüfung geschafft haben, und muss dann weiter Richtung Tonstudio, um den Meister zu treffen. Da läuft mir eine der beiden Nachwuchsmusikerinnen nach und hält mir ihr Schulheft hin: „Bitte gib mir ein Autogramm“. Hey, ich bin nicht berühmt, Mädchen! Da muß ein Mißverständnis vorliegen! „Nein bitte, ich will so gerne eine Unterschrift von dir“. Komme mir ein bißchen lächerlich vor, als ich meinen Namen in ihr Heft kritzele - aber arrogant abzulehnen geht ja irgendwie auch nicht.
Vor der Tür des Tonstudios sitzt ein grauhaariger Mann. Ja, der Meister ist da drin, bestätigt er mit glücklich leuchtenden Augen und zeigt mir die Klingel. Drinnen spricht Carlinhos von seinen Träumen, von mehr schwarzem Selbstbewusstsein und von Musik und Aufmerksamkeit und Mitgefühl in der Welt. Darüber vergißt er, so konkret zu werden, wie das Journalisten gerne hätten. Das kommt morgen!, verspricht er. Denn der große Visionär hat über seinen Ideen die Zeit vergessen und muß jetzt weg. Küßchen und tschüs. Draussen ist es dunkel. „Na, kommt er gleich?“, fragt der grauhaarige Mann, der immer noch da auf der Bank sitzt. Er spielt nämlich Gitarre und singt und hat soeben privat seine erste CD aufgenommen. Die will er gleich Carlinhos Brown geben. Wenn der hoffentlich zum Haupteingang raus geht. Sonst kommt der Grauhaarige morgen wieder und wartet weiter auf seine Chance.
Ich bin kaum zwei Schritte gegangen, da treffe ich meine Autogrammjägerin. Zusammen mit einer Freundin kommt sie auf mich zugerannt: „Kannst du uns deine Adresse geben?“, bittet sie. „Wir wollen dir etwas schicken!“ Was habe ich nur getan, um die beiden so zu beeindrucken? Ich gebe ihnen eine Visitenkarte und gehe zum nächsten Termin. Interview mit Diogo. Diogo ist dreizehn und lernt seit drei Jahren Rhythmusinstrumente, Gesang, Musiktheorie, Gitarre und Tontechnik an der Musikschule Pracatum. Übt stundenlang jeden Tag. Fehlt nie. Den Namen der eigenen Band kann Diogo erst nach heftigem Nachdenken fehlerfrei schreiben. Als Musiker ist der Dreizehnjährige beeindruckend erfahren, hat schon mit Carlinhos Brown gespielt, ist schon in Rio de Janeiro aufgetreten und sogar einmal in Spanien. Natürlich träumt Diogo davon, Profimusiker zu werden. Einer mehr hier in Salvador: Allein in Diogos Stadtviertel mit seinen paar Tausend Einwohnern gibt es mehrere Musikschulen, ungezählte Bands und noch mehr Träumer. Wie viele Musiker in Salvador von der Musik leben können, hat niemand gezählt. Wegen der vielen Karnevalsbands mögen es ein paar mehr sein als anderswo. Ich hoffe, Diogo wird einmal dazu gehören.
Als ich mich von Diogo verabschiede, löst sich ein Schatten aus dem Dunkel – wieder die Mädels. Eine der beiden drückt mir einen Umschlag in die Hand: „Das ist unsere CD! Wir haben nämlich eine Forró-Band! Die mußt du dir unbedingt anhören!“ Na klar! So ist das! Musik ist der Fußball Salvadors. Der Lotteriegewinn für große Träumer aus bescheidenen Elternhäusern. Bei so großen Träumen kann eine deutsche Journalistin schon mal unverhofft in die Rolle eines internationalen Talentscouts geraten. Und jetzt? Wie weiter? Möchte jemand eine Forró-Band aus Salvador produzieren? Bitte melden!
Sonntag, 5. Februar 2006
Dienstag, 10. Januar 2006
Doch kein Treffen mit dem Papst
Gestern ging es schief. Bis gestern war der 28jährige Erivandro Férrer de Lima durch das Hinterland des Bundesstaates Ceará gezogen. Das Hinterland des Ceará ist so trocken, dass die Bauern dem Vieh in manchen Sommern Kaktusse zu fressen geben, weil die wenigstens einen Rest Wasser enthalten. Meistens verdurstet in der wüstenähnlichen Steppe trotzdem ein Teil der Herde. Manchmal verhungern Kinder. Im Inneren des Ceará glauben die Menschen inniger als anderswo. Es bleibt ihnen sonst nicht viel Hoffnung.
Da kommt einer wie Erivandro gerade recht. Einer, der feurige Messen betet, mit den Bewohnern der abgelegensten Winkel. Wo es einen Pfarrer gibt, betet er mit dem zusammen. Und dann erzählt er von der großen Karawane der Gläubigen, die er gerade zusammenstellt. Diese einzigartige Karawane soll im Mai im Bundesstaat Sao Paulo im Süden des Landes mit Papst Bento XVI zusammentreffen. Den Papst sehen! Wer wollte das nicht? Was für ein unerhoffter Lichtblick im Steppenleben! Nicht ganz billig zwar, aber Sao Paulo ist weit und der Papst kommt nicht alle Jahre vorbei. 175 Reais – die Hälfte eines Monatslohns von einem Landarbeiter – verlangt Erivandro als Anzahlung. Weitere 375 Reais sollen die potentiellen Karawanenmitglieder in fünf Raten bezahlen. So wirbt der begnadete Redner nach jeder Messe. Und die Gläubigen zahlen an und freuen sich und können ihr Glück kaum fassen.
Die fünf Rest-Raten werden jetzt allen erlassen. Denn gestern ging es schief. Da wollte Erivandro zwei Damen vom Verkehrsamt Detran für seine Karawane gewinnen. Vielleicht hatten sich seine Argumente schon abgenutzt. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag. Vielleicht paßte er einfach nicht in die Stadt mit seinen Versprechungen. Die Damen jedenfalls machten, was nicht einmal den Pfarrern im Inneren des Ceará eingefallen war: sie wurden misstrauisch. Trotz der sanften Worte des Erivandro riefen sie die Polizei. Das störte den professionellen Papst-Treffer zunächst wenig: er zeigte den Uniformierten einfach einen hübschen Ausweis der brasilianischen Bischofskonferenz. Doch der überzeugte die beiden Gesetzeshüter nicht. Da behauptete der Mann, er gehöre der Brasilianischen Freikirche an. Die gehört gar nicht zur Bischofskonferenz. Als das auch nichts half, und der Pseudo-Prediger tatsächlich eine offizielle Aussage machen mußte, leugnete er rundweg alles, was er vorher gesagt hatte und gab statt dessen an, er studiere seit 2003 Philosophie in Belo Horizonte. Eingesperrt wurde er trotzdem.
Nun wird es keine Karawane der Gläubigen geben. Wahrscheinlich wird keiner der Menschen vom Inneren des Ceará den Papst Bento XVI treffen. Aus ist es mit dem unverhofften Lichtblick im Steppenleben. Wäre nicht gestern alles schief gegangen, womöglich wäre der falsche Prediger Erivandro tatsächlich mit den Gläubigen nach Sao Paulo gefahren. Die Pfarrer hatte er schließlich alle überzeugt. Warum müssen sich die öffentlichen Angestellten nur immer in alles einmischen!
Da kommt einer wie Erivandro gerade recht. Einer, der feurige Messen betet, mit den Bewohnern der abgelegensten Winkel. Wo es einen Pfarrer gibt, betet er mit dem zusammen. Und dann erzählt er von der großen Karawane der Gläubigen, die er gerade zusammenstellt. Diese einzigartige Karawane soll im Mai im Bundesstaat Sao Paulo im Süden des Landes mit Papst Bento XVI zusammentreffen. Den Papst sehen! Wer wollte das nicht? Was für ein unerhoffter Lichtblick im Steppenleben! Nicht ganz billig zwar, aber Sao Paulo ist weit und der Papst kommt nicht alle Jahre vorbei. 175 Reais – die Hälfte eines Monatslohns von einem Landarbeiter – verlangt Erivandro als Anzahlung. Weitere 375 Reais sollen die potentiellen Karawanenmitglieder in fünf Raten bezahlen. So wirbt der begnadete Redner nach jeder Messe. Und die Gläubigen zahlen an und freuen sich und können ihr Glück kaum fassen.
Die fünf Rest-Raten werden jetzt allen erlassen. Denn gestern ging es schief. Da wollte Erivandro zwei Damen vom Verkehrsamt Detran für seine Karawane gewinnen. Vielleicht hatten sich seine Argumente schon abgenutzt. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag. Vielleicht paßte er einfach nicht in die Stadt mit seinen Versprechungen. Die Damen jedenfalls machten, was nicht einmal den Pfarrern im Inneren des Ceará eingefallen war: sie wurden misstrauisch. Trotz der sanften Worte des Erivandro riefen sie die Polizei. Das störte den professionellen Papst-Treffer zunächst wenig: er zeigte den Uniformierten einfach einen hübschen Ausweis der brasilianischen Bischofskonferenz. Doch der überzeugte die beiden Gesetzeshüter nicht. Da behauptete der Mann, er gehöre der Brasilianischen Freikirche an. Die gehört gar nicht zur Bischofskonferenz. Als das auch nichts half, und der Pseudo-Prediger tatsächlich eine offizielle Aussage machen mußte, leugnete er rundweg alles, was er vorher gesagt hatte und gab statt dessen an, er studiere seit 2003 Philosophie in Belo Horizonte. Eingesperrt wurde er trotzdem.
Nun wird es keine Karawane der Gläubigen geben. Wahrscheinlich wird keiner der Menschen vom Inneren des Ceará den Papst Bento XVI treffen. Aus ist es mit dem unverhofften Lichtblick im Steppenleben. Wäre nicht gestern alles schief gegangen, womöglich wäre der falsche Prediger Erivandro tatsächlich mit den Gläubigen nach Sao Paulo gefahren. Die Pfarrer hatte er schließlich alle überzeugt. Warum müssen sich die öffentlichen Angestellten nur immer in alles einmischen!
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