Freitag, 13. April 2007

Stiller Markt in Sao Paulo

Schon von Gilberto Kassab gehört? Nein? Aber von Sao Paulo, oder? Sao Paulo will nicht mehr laut sein. Reichste Stadt des Landes, ok. Größte deutsche Industriestadt, genehm. Größtes Verkehrschaos Brasiliens, nicht ganz so toll. Terrorvereinigung Drittes Kommando, ganz schlecht. Und der neue Bürgermeister Gilberto Kassab verschwindet im Schatten seines Vorgängers José Serra. Bislang jedenfalls.. Denn jetzt wird der Mann die Stadt ändern. Er macht Sao Paulo leise. Und weil das bei einer 12-Millionen-Einwohner-Stadt nicht so einfach ist, fängt er erst mal klein an.

Seit Ostern ist in Sao Paulo stiller Markt. Kassabs „Gesetz der Stille“ verbietet elektronisch verstärktes, aber auch traditionelles Marktschreien auf allen knapp 900 Marktplätzen der Stadt. „Tomaten, hier billiger!“ oder „Schöne Äpfel, Kilo nur 2 Reais“, – gibt es nicht mehr. „Treten Sie näher, schöne Frau“ oder „Angucken kostet nichts!“ - aus und vorbei. Oder eben nur geflüstert. Fragt sich, wie die Leute ihre Ware künftig anpreisen sollen. Vielleicht gestikulieren sie mehr? Oder sie malen größere Schilder?

Ihr Gewerkschaftsführer jedenfalls findet stille Märkte gut: „Der traditionelle Kontakt zwischen Verkäufer und Käufer bleibt bestehen, es wird nur nicht mehr so rumgebrüllt“, sagt er. Und verkennt womöglich damit die Natur des Gewerbes. „Ich kann gar nicht anders, ich schreie automatisch“, erklärt die Obstverkäuferin Sandra. Ohne lautstarkes Anpreisen kein Markt, finden auch viele andere Verkäufer. Hausfrau und Stammkundin Tereza ist ihrer Meinung: „Markt ohne Marktschreien verliert den Charme.“

Wie Kassab die Marktverkäufer zum Verstummen bringen will, ist ohnehin nicht ganz klar. Er schickt nicht etwa ständig Kontrolleure mit dem Dezibelmesser durch die Gegend. Es ist nicht einmal festgelegt, ab wann Schreien, Schreien und damit verboten ist. Ob ein Marktschreier authentisch und sympathisch oder ein lästiger Gesetzesübertreter ist, entscheidet nicht die Stadtverwaltung. Marktbesucher und Anwohner sollen die Brüllaffen unter den Verkäufern bei der nächstgelegenen Rathaus-Unterabteilung anzeigen. Dann erst verwarnen die Offiziellen die Missetäter. Wer wiederholt angezeigt wird, muß Strafe zahlen, und wenn das immer noch nichts hilft, können notorische Lärmer sogar ihre Lizenz verlieren.

So richtig beliebt hat sich Kassab mit seiner Maßnahme nicht gemacht, auch wenn Stadtsekretär Matarazzo (der für die Koordinierung der Rathaus-Unterabteilungen zuständig ist) noch schnell nachschob: „Natürlich werden wir den gesunden Menschenverstand walten lassen.“ In einem Internetforum zum Thema riet ein Teilnehmer dem Bürgermeister gar, wenn er stille Märkte so sehr liebe, solle er doch das Land verlassen und die Bürger hier in Ruhe lassen. Wo auf der Welt es bereits stille Märkte gibt, sagt der Internaut nicht.

Wie wäre es statt dessen mit der folgenden Idee: Kassab könnte den Marktschreiern ein paar kostenlose Kurse in Schweige-Erziehung spendieren. Oder eine kleine Pantomime-Ausbildung. Das bringt ihm vielleicht sogar positive Schlagzeilen.

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