Samstag, 16. Dezember 2006

Bei Galego: Kokoswasser und Politik

Galego lebt in einer kleinen Box: an drei Seiten geschlossen, zur Strasse hin offen, und vollgestopft mit allem, was der Mensch so braucht. Laut Ladenschild gibt es bei Galego „Frutas e Verduras“, Obst und Gemüse. Unter anderem kaufen tatsächlich bei Galego Hausfrauen das tägliche Obst und Gemüse ein. Obwohl gleich neben der Kasse eine großes Schild verkündet: „Auf Pump geht gar nichts“, dürfen die Stammkunden natürlich bis zu einer bestimmten Summe anschreiben lassen.

Außerdem ist Galegos Laden ein Öko-Imbiss: Wenn die Surfer hungrig und durstig vom Strand kommen, machen sie gerne bei Galego Pause auf ein frisches Kokoswasser gleich aus der Nuß und ein paar Scheiben Wassermelone oder eine Handvoll Weintrauben. Für Kinder ist Galego das Büdchen: In einem guten Dutzend Plastikdosen bewahrt er Erdnussbutterplätzchen, Erdnußkrokant, Lakritze, Kaugummi und andere Delikatessen auf. Und schliesslich gibt es bei Galego auch Schreibhefte, Quittungsblocks, Zahnbürsten, Shampoo, Nähnadeln, Besen, Staubtücher, Kugelschreiber und Haargummis. Und Zeitungen und einen Fernseher neben der Kasse, damit Galego nicht langweilig wird, wenn gerade keine Kunden da sind.

Galego macht morgens in aller Herrgottsfrühe auf und abends erst zu, nachdem er die Abendnachrichten angesehen hat. Spätestens dann sind seine Ansichten zum aktuellen Polit-Geschehen gereift und er diskutiert die kommentierte Kurzfassung der Tagesschlagzeilen gerne mit seinen Kunden. Gestern lautete die Schlagzeile in beiden konkurrierenden Tagszeitungen, die bei Galego aushängen: Gehaltserhöhung Senatoren 92 Prozent, Gehaltserhöhung Arbeiter 7 Prozent. Das ist wirklich wahr. Die Senatoren haben sich in einem Akt größter Einigkeit untereinander selbst eine Diätenerhöhung von bislang monatlichen 12.800 Reais (rund 4570 Euro) auf neuerdings 24.600 Reais (8780 Euro) im Monat bewilligt.* Angeblich haben sie sich dabei an Minister-Gehältern orientiert. Nun gibt es allerdings etwas mehr Senatoren als Minister im Land, und so kostet die neue Gehaltsklasse den Steuerzahler jeden Monat mehr als 100 Millionen Reais. Das sind keine Extrakosten, behaupten die Politiker, wird alles an anderer Stelle eingespart. Für normale Arbeiter kann leider niemand so leicht eine ähnlich saftige Gehaltserhöhung einsparen.

Galego regt sich auf: „Die brasilianischen Wähler sind wirklich ein Haufen Idioten." Ein Kunde fragt: "Wieso die Wähler?" Galego: "Na, wie können die nur solche Senatoren wählen, die ohnehin schon Hilfe für alles bekommen; Beihilfe zur Miete, Beihilfe zu Krawatte und Anzug, Beihilfe zum Nahverkehr – und dann kriegen die den Hals immer noch nicht voll!“ Ein verspäteter Surfer stimmt zu: “Ich verdiene 24.000 nicht mal im Jahr, und ich arbeite auf dem Bau schwerer als jeder Senator!“ Ein anderer Kunde findet: „Da weiß man wirklich nicht mehr, warum man überhaupt noch arbeiten geht.“ Galego wiegt ein paar Äpfel ab, packt ein paar Rollen Garn ein, hält inne, überlegt ein bisschen und sagt dann: „Deswegen geht es mit diesem Land nicht vorwärts: die einen schwitzen immer mehr, um das Allernötigste bezahlen zu können, die anderen genehmigen sich Fürstengehälter, dafür, daß sie gelegentlich mal ein Dokument unterzeichnen. Und wißt Ihr, was ich jetzt mache? Ich arbeite eh schon viel zu lang heute, ich geh jetzt auch nach Hause!“

* Der gesetzliche Mindestlohn soll von 350 Reais (125 Euro) auf 370 Reais (132 Euro) angehoben werden.

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