
Wenn Sänger wie Caetano Veloso und Maria Bethania ihrer Mutter ein Denkmal setzen wollen, ist das einfach: Sie schreiben ein Lied. Oder mehrere. Das kostet nichts und wirkt einwandfrei: In Brasilien – und teilweise sogar darüber hinaus - ist
Dona Canô beinahe ebenso bekannt, wie ihr Star-Nachwuchs.
Weniger künstlerisch begabte Typen haben es schwerer, ihre Erzeugerin für die Nachwelt zu erhalten.
Dona Lindu kennt noch kaum jemand. Der nach ihr benannte öffentliche Raum
Parque Dona Lindu in Recifes Strandviertel Boa Viagem war zwar eine kostspielige Angelgenheit, wurde aber erst vor ein paar Tagen eingeweiht. „Öffentlicher Raum“ sage ich, um mich aus dem örtlichen politischen Hickhack rauszuhalten, denn ob es sich bei dem Werk um einen Park handelt, darüber streiten sich die Recifenser seit vielen Monaten. Auf jeden Fall war er teuer: 29 Millionen Reais für rund 3,3 Hektar, ein Drittel davon, beinahe ein Hektar, bestehend aus Beton und bereits nach seinem Hundertsten geplant von Stararchitekt Niemeyer, der dafür die Summe von zwei Millionen berechnete. Das nennen jetzt manche größenwahnsinnig oder pharaonenhaft.
Angefangen hat es - zugegeben deutlich bescheidener - mit einer Idee der Stadtviertel-Bewohner. Die liefen immer wieder an dem riesigen Brachlandareal direkt am Meer vorbei und guckten begehrlich auf Kokospalmen und Büsche. Das teure Boa Viagem ist nämlich so trefflich und vor allem wirtschaftlich genutzt, dass für jeden Einwohner statistisch weniger als ein Quadratmeter Grünfläche bleibt. Weil dieses ungenutzte Grün keinem Investor gehörte, sondern der Marine, kommt irgendeiner auf die Idee, Unterschriften zu sammeln und eine Spende zu erbitten: die Marine soll das Filet-Grundstück an die Gemeinde Recife verschenken, damit die dort einen öffentlichen Park einrichtet. 17.000 Unterschriften kommen schnell zusammen. Das war im Jahr 2004.
Knapp ein Jahr später gelingt es dem Bürgermeister, nach Gesprächen mit der Aeronautica, dem Verteidigungsminister und anderen, endlich auch mit Präsident Lula über das Projekt zu sprechen. Von da an wird alles anders. Zwölf Tage nach dem Telefonat gibt Lula die Abtretung des Geländes an die Gemeinde bekannt, weitere zwei Wochen später sind bereits alle nötigen Dokumente unterzeichnet. Beeindruckend. Wessen Idee es dann war, das Ganze nach der verblichenen Mutter des Präsidenten zu nennen, verschweigen alle Beteiligten. Die Spitznamen von Mutter und Sohn passen jedenfalls prima zusammen; und
Dona Lindus vollen Namen Eurídece Ferreira de Melo kennt vermutlich schon lange niemand mehr. Offizielle Begründung für die Namenswahl:
Dona Lindu sei eine typische Nordostfrau, die mit ihren sieben Kindern ohne Mann vor Not und Trockenheit aus Pernambuco nach Sao Paulo floh – darunter, und das ist weniger typisch, der künftige Präsident Lula. Arschkriecherei nennen das manche böse.
Dona Lindu sei nie auch nur bis nach Recife gekommen und habe erst recht nichts für den Bundesstaat und seine Bewohner getan, um ein so üppiges Denkmal zu verdienen. Ersatzweise schlagen unzählige Internauten in Kommentaren ihre eigenen Mütter, Großmütter, Cousinen und andere weibliche Verwandte als Namensgeber vor, die ebenfalls Kinder allein durchgebracht hätten. Oder wenigstens einen Künstler, Schriftsteller – kurz: einen nicht politisch besetzten Namen einer Person, die sich um die Stadt verdient gemacht hätte.
Dass Lulas Mama mit der Stadt Recife nichts zu tun hat, stört mich gar nicht so sehr. Eher schon, dass man aus den Luxus-Bauten des Parks nicht mal das Meer sehen können soll. Oder dass die heiß erwarteten, angeblich erwachsenen Bäume, die den Parkbesuchern Schatten spenden sollen, noch immer nicht gepflanzt sind. Oder dass die Planer mit der zum Denkmal gehörenden Skulptur „Os retirantes“, das die typische Nordostflüchtlingsfamilie darstellt, einem ungelösten Problem ein Denkmal gesetzt haben – und nicht etwa einer Lösung. Bis heute rattern Lkws voller Flüchtlinge aus dem ganzen Nordosten Richtung Sao Paulo – genau wie der, auf dem damals
Lindu und Lula unterwegs waren (übrigens auf Freifahrschein, weil sie das Fahrgeld nicht aufbringen konnten – so großzügig sind die Lkw-Fahrer wohl heute nicht mehr). Weil bis heute keiner eine Lösung für die Probleme Hunger, Not, Trockenheit sowie Struktur- und Bildungsmangel im Nordosten gefunden hat. So gesehen wäre es doch eine hübsche Idee, in Rio demnächst ein Denkmal für die „Favelados“ aufzustellen, für all die Hunderttausenden Slum-Bewohner, die aus Not keine Alternative haben, als die billige Unterkunft im illegalen von Drogenbossen und paramilitärischen Milizen dominierten urbanen Raum.
Aber darum geht es natürlich gar nicht. Hier haben sich – so darf vermutet werden – Politiker und Geschäftsleute diverse Gefallen getan. Der scheidende Bürgermeister von Recife hat sein Großwerk geschickt noch schnell vor der Amtsübergabe eingeweiht und beim Präsidenten bestimmt auf längere Zeit einen dicken Stein im Brett. Womöglich nicht nur beim Präsidenten: Das neuste stadtplanerische Werk in Boa Viagem hat in seinen zwei Jahren Planungs- und Bauphase eine Kostenexplosion erlebt, die erstaunlicherweise kaum kommentiert wurde: die neuerdings genannten umgerechnet fast 10 Millionen Euro Gesamtkosten sind das Doppelte der ursprünglich veranschlagten Summe.
Wer sucht, findet weitere Unstimmigkeiten: So hat etwa die benachbarte Hauptstadt des Bundesstaats Paraiba ebenfalls ein Niemeyer-Werk bekommen. Ebenfalls einen sogenannten Park. Mit ganz ähnlichen Bauwerken und sogar deutlich mehr Grünfläche. Der ist allerdings viel billiger. Unter anderem (aber nicht nur!), weil Niemeyer den Joao Pessoanern das Projekt geschenkt hat. Ob er das bei den anderen Nordost-Städten, die sich bald ebenfalls mit Niemeyer-Parks schmücken können, ebenfalls getan hat, weiß ich nicht. Könnte aber sein, dass unser beileibe nicht reiches Recife den Prototyp für alle anderen mit finanziert hat. Dabei mag jeder selbst entscheiden, ob dieser Prototyp nun ein Park ist, ein Platz, ein Vergnügungszentrum oder antidemokratischer Frevel, wie manche behaupten.
Jedenfalls ist der Präsident persönlich zur Einweihungsfeier gekommen. Auch wenn noch nicht viel fertig war, und sich vor dem Rohbeton reichlich zerrupfte Rest-Palmen im heißen Sommerwind wiegten: Es gab ein hübsches kleines Familienfest mit Musik vom immerhin aus der Nachbarstadt Olinda stammenden Sänger Alceu Valenca und nur wenig Proteste. Wenn einer 23 Brüder, Cousins und Neffen um sich versammelt, kann man das doch ein kleines Familienfest nennen, oder? So viele Verwandte des Präsidenten waren gekommen, das Denkmal für
Dona Lindu zu sehen. Wer weiß, vielleicht ist sie bald ebenso bekannt wie
Dona Canô.