Samstag, 18. September 2010

Friedenspolizisten, Politskandale und Star-Kandidaten


Während der finanziell ruinierte Star-Fußballer Romário sein Glück als Polit-Kandidat versucht und Dilma Rousseff unter dem Skandal der Freundin Erenice leidet, bin ich in Rios Favelas unterwegs und gucke mir an, was die Friedenspolizisten hier so machen.

In der ältesten Favela des ganzen Landes steht ganz oben hoch über dem Hafen der Stadt eine winzige Kapelle. In der hängt ein einfaches Holzkreuz, und die weiß gekalkte Wand dahinter zieren mehrere Einschuss-Löcher. Drastischer lässt sich kaum illustrieren, wie ein ziviler Kriegszustand aussieht. Trotzdem sind nicht alle Anwohner froh über die bewaffnete Polizei-Präsenz, die seit Monaten Schießereien verhindert. Weil sie auch den illegalen Handel mit geraubten Waren und Fälschungen unterbindet, den Drogenhandel erschwert und überhaupt das ganze Morro in eine andere Lebensrichtung drängt.

Heute Nacht wird in der City of God ein Baile Funk stattfinden, einer dieser Party-Spektakel mit pornografischen Tänzen und harten Texten, die früher von Drogenbossen genehmigt wurden und mit reichlich Drogen und Waffen garniert waren. Dieser Baile ist vom Polizei-Kommandant genehmigt und wird von der Schocktruppe bewacht. Vielleicht gucke ich mir das an - wenn die Cidade de Deuzs nur nicht so furchtbar weit weg wäre.

Jedenfalls ist dies eine spannende Zeit - auch wenn viele skeptisch sagen: das ist nur Wahlkampf, spätestens nach der Olympiade ziehen die ihre Polizisten wieder ab. In der Zwischenzeit bewirken die Polizisten etwas. Und ob das nach der Olympiade noch jemand rückgängig machen kann, ohne sich politisch total zu verbrennen, das ist eine ganz andere Frage.

foto: wollowski

Samstag, 4. September 2010

Kunst und Drogen


„Die Kids hier sollten genauso leicht Zugang zu Kunst haben, wie zu Drogen und Alkohol“. Das hat Lu Araujo gestern zu mir gesagt. Lu hat für Olinda ein Musikfestival erfunden, das eine Woche lang klassische und folkloristische oder poppige moderne Instrumentalmusik in Olindas Barockkirchen bringt. Olinda ist bekannt für seine koloniale Altstadt, die sogar UNESCO-Weltkulturerbe-Rang hat. Von Olindas Slums ist weniger oft die Rede.

Heute traf ich Maestro Ivan, den Leiter des Orchesters für zeitgenössische Musik, Orquestra contemporanea de Olinda. Er arbeitet mit jungen Leuten – auch aus den Slums. Sie spielen unter anderem Musik, die Mestre Ivan erfunden hat. Eine abenteuerliche Mischung aus Klassik und Folklore, nordostbrasilianischen und afrikanischen Traditionen und der Moderne. Ein Kritiker der New York Times hat sie gehört und geschrieben, aus Brasilien sei seit Chico Science nicht mehr so Aufregendes gekommen.

Der Maestro hat mir heute erzählt, dass ihm kürzlich eine vielversprechende Flötenschülerin ihr Instrument zurück gebracht habe. Sie wolle nicht mehr spielen, habe sie dazu gesagt. Als er zu dem Mädchen nach Hause in die Favela V8 ging, um mit der Mutter zu sprechen, merkte der Maestro, dass diese ihm etwas verschweigen wollte. Zwei Wochen später war das Mädchen tot. Gesteinigt. Sie hatte sich in die Welt des Crack hineinziehen lassen und war – ungewöhnlich schnell und gewöhnlich brutal – dabei umgekommen.

Am Montagabend spielt Maestro Ivan mit dem Orchestra contemporanea de Olinda oben auf dem Platz vor der Kathedrale Igreja da Sé. Das ist einer der Höhepunkte der MIMO, Kritiker aus dem ganzen Land werden darüber berichten. In den sieben Jahren, seit die MIMO existiert, haben mehrere Tausend junge und nicht so junge Leute dabei an Workshops und Kursen teilgenommen. Manche waren schon professionelle Musiker, andere wollen es werden. Hoffen wir dass es Lu; Mestre Ivan und all den anderen gelingt, für immer mehr Kinder und junge Leute Kunst genau so erreichbar zu machen, wie Drogen. Damit sie wenigstens eine Wahl haben.

Foto: Promo
 
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