Montag, 12. November 2007

Steuern für die WM?

An dem Abend, nachdem die Fifa verkündet hatte, dass Brasilien der Austragungsort der WM 2014 sein wird, sass ich mit Freunden in einer Pizzeria. Obwohl kein ausgesprochener Fußballfreund dabei war, verbreitete sich eine kleine Euphorie, die nur leicht von Skepsis getrübt war. „Stell Dir vor, sogar hier in Recife wird WM sein, was da für Leute herkommen werden!“, sagte einer. „Ich finde es nur schade, dass Lula garantiert auch die WM an sich reißen wird, nach dem Motto: Ich bin der erste Präsident, der eine WM ins Land gebracht hat“, sagte ein zweiter. „Es ist schon toll, so internationaler Austragungsort zu sein, aber die 4 Milliarden Reais, die da investiert werden sollen, werden eben wieder nicht in Bildung und Infrastruktur und Gesundheitswesen fließen“, sagte ein dritter. Und ein vierter meinte trocken: „Na immerhin werden sie jetzt ganz bestimmt die CPMF durchbringen.“

Die CPMF mag in Deutschland kein bekannter Begriff sein – hier in Brasilien kennt sie jeder, der ein Konto hat, und wie die Regierung ohne sie da stünde, mögen sich die Politiker gar nicht vorstellen. Im Jahr 2005 hat sie 29 Milliarden Reais eingebracht, 2006 waren es 32 Milliarden, und allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres bereits um die 10 Milliarden. CPMF heißt „Contribuição Provisória sobre Movimentação Financeira”, auf deutsch: Provisorische Steuer auf Finanzbewegungen. Das bedeutet: Wenn jemand eine Geldsumme auf sein Konto überwiesen bekommt, zahlt er darauf CPMF – der Überweisende hat für die Überweisung vorher allerdings auch schon CPMF gezahlt, und überweist jetzt der Empfänger seine Miete von diesem Geld, ist wieder CPMF fällig, ebenso wie für die überwiesenen Ratenzahlungen und für bar abgehobenes Haushaltsgeld. Nur wer seine Rente abhebt, sein Gehalt oder Arbeitslosengeld empfängt oder wer Aktiengeschäfte tätigt, muß dafür keine CPMF zahlen.

Mit der CPMF haben die Brasilianer etwas in mehrfacher Hinsicht Einmaliges geschaffen. Zum Einen ist die Steuer akkumulativ, das heißt, sie wird auf das gleiche Geld immer wieder fällig, etwa so, als müssten neben dem Endverbraucher auch der Produzent und sämtliche Zwischenhändler einer mehrwertsteuerpflichtigen Ware jeder einzeln immer wieder Mehrwertsteuer dafür bezahlen. Und außerdem ist die CPMF zwar dem Namen nach ein Provisorium, aber seit sie 1993 unter dem Namen IPMF (Imposto Provisório sobre Movimentação Financeira) erfunden wurde, ist sie so erfolgreich, dass sie zwar wie geplant, im Jahr 1994 abgeschafft wurde, aber schon 1997 unter dem neuen Namen auferstanden war.

Seitdem starren die Politiker gegen Ende einer jeden Melkperiode so lange begehrlich auf die provisorische Milliardenkuh, bis ihnen wieder ein guter Grund eingefallen ist, um sie weiter zu melken. Auferstanden ist die CPMF 1997 als Finanzspritze für das Gesundheitswesen. Dem ging es zwar 1999 noch nicht richtig gut, dennoch wurde als Grund für die nächste CPMF-Verlängerung die Füllung der Rentenkassen angegeben. Die Verlängerungsspannen werden immer großzügiger angesetzt, und das Thema CPMF-Verlängerung zu einem Machtkampf ohnegleichen.

Seit Monaten verhandeln die Mitglieder des Senats heftig über eine erneute Verlängerung – diesmal gleich bis 2011. Böse Zungen behaupten, der eindeutig illegaler Machenschaften überführte Senatschef Renan Calheiros sei nur deshalb nicht des Amts enthoben worden, weil Lula dessen Einfluss braucht, um seine Lieblingssteuer auch im Senat durchzubringen. (Die Abgeordnetenkammer hat schon zugestimmt). Die Abstimmung im Senat ist für den 9. November angesetzt.

Ich wage die Prognose, dass die Steuerverlängerung durchkommt. Die Stimmung ist einfach gerade so optimistisch. So: „Wir sind nach vierzig Jahren wieder WM, jetzt wird alles gut“. Als ich an dem entscheidenden Abend nach Hause kam, hatte mir jedenfalls das Fremdenverkehrsamt bereits eine Pressemitteilung geschickt, in der zu lesen ist, dass Brasilien allein wegen der WM mit mindestens einer halben Million zusätzlicher Besucher rechnen kann. Na also. Nur schade, dass die nicht alle brasilianische Konten eröffnen.

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